Schutzpatron

Volker Klüpfel, Michael Kobr

„Schutzpatron“ ist der inzwischen sechste Kluftinger Roman der beiden Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr. Nicht selten sind die Subgenres, in denen sich die Autoren zu tummeln versuchen, klar zu erkennen. „Schutzpatron“ wäre im positiven Sinne eine Verneigung vor den raffinierten Diebstählen in der „Topkapi“ oder „Riffifi“ Variante. Es lohnt sich, den Konjunktiv zu benutzen, denn nach dem überdurchschnittlichen „Rauhnacht“ ist im vorliegenden Roman im Grunde alles schief gegangen.  Die Struktur ist frustrierend. Über 70 Prozent des Buches konzentriert sich auf den aus zwei Perspektiven zusammenlaufenden spektakulären Raub, der auf drei Seiten abgehandelt wird. Auf den letzten dreißig Seiten schafft es Kluftinger mit einem simplen Trick, die meisten der Verdächtigen zusammenzutrommeln und zu verhaften. Der eigentliche Täter bleibt im Hintergrund und ein Drahtzieher als Trittbrettfahrer sorgt tatsächlich dafür, dass der als Volltrottel dastehende Kluftinger zum Helden des Abends wird. Unabhängig von den zahllosen Mängeln in der Plotführung muss anfänglich die Figur des dickköpfigen Kommissars in der vorliegenden frustrierenden Fassung noch einmal beleuchtet werden.

Dieses Mal geht es um das Auto. Kluftinger hat seinen Wagen irgendwo geparkt, weil er in dem neuen Polizeigebäude in Kempten keinen Dienstparkplatz mehr hat und die Gebühren für das Parkhaus im Vergleich zu seinen Kollegen sparen möchte. Der sprichwörtliche Geiz des Allgäuers mit anscheinend schwäbischen Urwurzeln reizt ja ohne Frage zum Lächeln. Am Abend ist der Wagen „weg“. Aus Angst, seiner Frau den Diebstahl des eigenen Wagens beichten zu müssen, engagiert er nicht nur die Kollegen hinsichtlich der potentiellen örtlichen Automafia; greift immer wieder zum Dienstwagen, den er gerne der organisierten Diebesbande als Köder servieren will; muss später in einem für eine österreichische Waffelfirma Werbung fahrenden Smart aus Wien zurückkehren und kauft den Wagen tatsächlich, um die Verfolgung eines möglichen Täters seine Kollegen anführend aktiv aufzunehmen. Auch wenn die Episoden mit der im Grunde einzigen in Frage kommender Auflösung endet, ist es frustrierend, den Bemühungen Kluftingers zu folgen. Vor allem, wenn er am Ende sich im Kreis dreht. Da hilft es auch nicht, dass der Kommissar am Ende wieder auf einen bestimmten Parkplatz zurückgreifen will und ihm plötzlich keine Steine von der Decke fallen. Wie ein roter Faden selbst bei wichtigen Zeugenbefragungen durchzieht der verschwundene alte Passat die Handlung und lenkt vom eigentlich dürftigen Plot nur ein wenig ab. Interessant ist vielleicht in der Hinsicht, dass Kluftinger den Passat vor mehr als zwanzig Jahren gekauft hat, als ein Wanderer ihm als junger unerfahrener Polizist davon berichtet, dass er in einem Erdloch einen Schatz mit der Reliquie des heiligen St. Magnus gefunden hat. Nach zwanzig Jahren kehrt dieser Schatz für ein extra erbautes Museum in die Heimat zurück.

Auf einem ebenfalls schmalen Grad ist Kluftingers Verhältnis zu seiner Umwelt. Boshaft entlarven die Autoren seinen Vorgesetzten als egoistischen Opportunisten, der im Schatten von Politik und oberer Gesellschaft seine Tage lieber auf dem Golfplatz als im Büro verbringt. Die Begegnung auf dem Golfplatz inklusiv Kluftingers Minigolftaktik ist zwar lustig, droht aber in letzter Sekunde in Richtung anarchistische Zerstörungswut zu kippen.  Die Langhammers haben nur einen kurzen Auftritt. Zumindest in der Beziehung zwischen dem altklugen Kluftinger und dem immer arroganter werdenden Langhammer konzentrieren sich die Autoren auf einige wenige Highlights, deren Niveau über den Slapstick der letzten Romane hinausreicht. 

Der angeblich erste Flug Kluftingers – am Ende von „Milchgeld“ soll er einem längeren Urlaub mit seiner Frau zumindest zugestimmt haben – erinnert eher an Episoden aus „Ein Bauer in der Großstadt“ mit wirklich eine dummen Verhalten, während sein Kollege Maier als Technikfreak natürlich das genaue Gegenteil des Kommissars darstellen muss.  Zumindest erwecken die Autoren typische Männerängste – nicht alleine auf die Toilette gehen, mit einem nackten nicht unbedingt schwulen Mann sein Bett teilen – nicht nur in Kluftinger, sondern vor allem auch vielen Lesern.

Warum die Seitenhiebe auf die DDR in Form der nicht dummen, attraktiven Sekretärin aus Dresden immer noch sein müssen, ist das Geheimnis der Autoren. Einen geizigen, opportunistisch pragmatischen Kommissar mit Scheuklappen gegenüber der ganzen Welt zu beschreiben ist die eine Sache, aber hinsichtlich der DDR Vergangenheit alles von „drüben“ –damit ist im Gegensatz zu Kluftingers Erwartung Japan und nicht der Osten gemeint – teilweise derartig herunter zu putzen, unterminiert die Persönlichkeit Kluftingers und ist inzwischen auch nicht mehr lustig. Vor allem wenn die Autoren aus dem querdenkenden Allgäuer mit einer besonderen Heimataffinität den typischen deutschen neidischen Spießbürger machen wollen.  Diese Entwicklung ist nach den ersten auf der Charakterebene überraschenden Romanen stimmt bedenklich.

„Schutzpatron“ ist allerdings einer der schwächsten Romane der Serie. Nicht wegen des grundlegenden Plots, sondern aufgrund der Art und Weise, wie die beiden Autoren die Handlung entwickeln wollen. Da wäre zum einen die Idee, dass viele Morde einfach nicht aufgeklärt werden, weil niemand vom Hausarzt bis zum Pathologen auf die Idee kommt, dass es sich um einen Mord handeln könnte. Gerichtsmediziner Böhm will das Kluftinger an Hand des Leichnams der 82 Jahre alten Maria Zahn demonstrieren, die mit der natürlichen Todesursache eines Herzinfarktes bei ihm eingeliefert worden ist, obwohl der Hals Würgemale aufweist und anscheinend kein Fall vorhanden ist. Wie kommt denn Frau Zahn überhaupt in die Gerichtsmedizin, wenn erstens kein Anfangsverdacht besteht und zweitens niemand von einem Verbrechen ausgeht? Der Leser ist angesichts der Struktur der bisherigen Romane – alle Fälle hängen am Ende zusammen –  einen Schritt weiter. Natürlich steht ihr Tod mit dem in Zwischeneinblendungen minutiös vorbereiteten spektakulären Raub auf das dem Leser ebenfalls bekannte Objekt zusammen. Bis Kluftinger mit seinen Ermittlungen – die Bande hat die angemietete Garage zum Üben benutzt und Frau Zahn ist zu neugierig geworden – am Zwischenziel angekommen ist,  ist der Leser einige Schritte weiter. Interessant wird es im Mittelteil, wenn die Täter ihre Planungen gänzlich umwerfen müssen und quasi dank Insiderinformationen einen anderen Weg wählen, um vor den Augen der Polizei zuzuschlagen. Da nur wenige Tage zur Verfügung stehen, erscheint diese Vorgehensweise genauso unwahrscheinlich wie die Idee, die Statue zu stehlen und ausgerechnet von der Versicherung den Betrag zu fordern, den sie stillschweigend bereit wäre, im Falle eines Diebstahls zu zahlen, um weitere Kosten zu vermeiden. Das an dem Tag des Diebstahls der entsprechende Ansprechpartner auch noch krank ist, wirkt nicht nur verdächtig, sondern dumm.  Wie schon angedeutet hätte Kluftinger ohne die Dummheit der Helfer den Fall gar nicht lösen können. Der Leser stellt sich unwillkürlich die Frage, warum ein erfahrener Gangster wie der Schutzpatron einen derartigen Haufen von Amateuren überhaupt anwerben konnte, die anscheinend mit komplexen und komplizierten Coups nichts anfangen können.  Der Schutzpatron hat wie es sich für dieses spezielle Subgenre gehört ohne Frage mit Spezialisten umgeben, aber die Art, wie die Gruppe schließlich gesprengt wird, ein Mitglied ohne viele Versprechen die Seite wechseln kann und schließlich Kluftinger den Schatz wiederfindet wirkt beschämend einfach angesichts der Exposition.  

 Zwar bauen die Autoren bei einem eher widerwilligen Besuch in Österreich einen Hinweis auf „Kottan ermittelt“, eine der so beliebten wie schwierig zu verstehenden Krimiklamotten ein, aber sie vergessen, dass die Grundhandlung einer Komödie mit Respekt behandelt werden muss, damit sie funktioniert.  Zu oft beenden sie die roten Fäden zu schnell und bauen entweder wie im vorliegenden Roman zu spät die Spannung anstatt diese kontinuierlich mit einer komplexeren Struktur in die wirklich bemüht wirkenden lustigen Szenen einzubauen.  Mehr und mehr machen sie aus den Kluftinger Romanen billige Klamotten, über die sich ein eher durchschnittliches Publikum angesichts der unqualifizierten wie politisch polemischen  Phrasendrescherei amüsiert. Im Gegensatz zum Enkel Alfred, an den Kluftinger ohne Frage angelehnt worden ist, aus der Serie „Ein Herz und eine Seele“ versucht der Allgäuer ohne Ahnung wirklich überall mitzureden, sich bei seinen unqualifizierten Vorgesetzten in die Fettnäpfchen zu setzen und als seniler beamteter Frührentner jeglichen technischen Fortschritt nicht zu ignorieren, sondern in erster Linie zu sabotieren.  Ekel Alfred legte manchmal den Finger in bestimmte Wunden und dank des Mittels der Übertreibung rieb sich er sich an der öffentlichen Meinung. Kluftinger wird mehr und mehr zu einer eindimensionalen, in seinen vorhersehbaren Schemata gefangene Schablone, die vor allem auch darunter leidet, dass andere Figuren wie Doktor Langhammer als sozialer aufstrebender Gegenpol nicht weiter entwickelt wird, sondern ebenfalls zu einer eingebildeten Farce degeneriert. Da helfen selbst die wenigen liebevoll gezeichneten Nebenfiguren wie Kluftingers leidende Frau, die potentielle japanische Schwiegertochter als auch die Prostituierte mit Herz sowie die alle Richtungen – Technikfreak, ewiger Junggeselle, Nacktschläfer -  vertretenden Kollegen nicht wirklich weiter.

  • Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
  • Verlag: Piper (30. Mai 2011)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3492052053
  • ISBN-13: 978-3492052054
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