Böse Schatten

Böse Schatten, von Ditfurth, Titelbild
Christian von Ditfurth

Mit "Böse Schatten" beginnt Christian von Ditfurth die zweite Stachelmann Ära. Nicht umsonst lautet der Untertitel auch "Stachelmanns neue Fälle". Zu den Stärken des Autoren und Historikers gehört es nicht nur in den Stachelmann Krimis, sondern der Trilogie um die besondere Wohngemeinschaft in Berlin oder seinem Spionagethriller "Das Moskau Spiel", unbekanntere Aspekte der nicht selten deutsch deutschen Vergangenheit aus einer nuancierten, erstaunlich positiv gesprochen pragmatischen Perspektive zu beleuchten und abseits von Verklärung oder Geschichtsmanipulation ein realistisches, fundiert recherchiertes Bild dieser Zeit vor allem auch für neue Generationen zu zeichnen. Diese Vorgehensweise auf eine oft nicht belehrende wirkende Art und Weise gibt den "Stachelmann" Krimis ihren besonderen Flair. 

 "Böser Schatten" weist in dieser Hinsicht eine Reihe von interessanten Szenen auf. Auf  der anderen Seite muss sich Christian von Ditfurth auch den Vorwurf gefallen lassen,  dass seine Kriminalromane mehr und mehr konstruiert und unrealistisch erscheinen lassen. Und das liegt vor allem an seiner Unentschlossenheit, sich zwischen den Mechanismen des Thrillers und der Arbeit eines Historikers entscheiden zu wollen.  

 Die besten "Stachelmann" Romane beinhalten eine persönliche Komponente. Wenn die Schatten der Vergangenheit Figuren im Umfeld des promovierten Historikers erreichen und diese gezwungen werden, gegen ihre etablierten Wege ausschließlich zu reagieren und ihre Wohlfühloasen zu verlassen. "Böse Schatten" schafft es  nicht, ihre Figuren so sehr zu entwurzeln, dass ihre Aktionen überzeugend erscheinen. Und dieses Manko zieht sich durch den ganzen Roman.  

 In Hamburg wird nach zwanzig Jahre eine Leiche gefunden, die anscheinend gefoltert worden ist.  In ihrem Mund befindet sich ein Papierschnipsel, der auf einen politischen Mord von radikalen Gruppen hinweisen könnte.  Die attraktive Polizistin der Hamburger Mordkommission hat von  Stachelmanns Erfolgen gehört und sucht bei ihm Hilfe. Eine klassische Ausgangslage, die Christian von Ditfurth auch in den bisherigen "Stachelmann" Krimis gerne genommen hat.  Seine Polizei operiert nicht selten mit Scheuklappen und viele seiner Beamten agieren wie Amateure, denen Stachelmann mit seiner unorthodoxen, aber auch basierend auf seiner Ausbildung als Historiker zielstrebigen Vorgehensweise hilft.

 Christian von Ditfurth hat absichtlich mehrere Perspektiven in den Roman eingebaut. Er wechselt zwischen Täter und den Ermittlern hin und her, um Spannung zu erzeugen. In der Theorie funktioniert die Vorgehensweise, in der Praxis braucht er aber die zweite Handlungsebene, um das aus der Situation heraus die Ermittler im Spiel zu halten. Ohne den Anschlag auf Stachelmanns Freundin Anna und ihren Sohn wäre der Fall wahrscheinlich bei den Akten gelandet. Der Autor interpretiert es durch seinen Antagonisten als Warnung. Diese trifft aber in einem Punkt auf taube Ohren. Anna wird nicht nur durch die Bombe aus dem Spiel genommen und reagiert entsprechend entsetzt, Stachelmann macht sich im Laufe der Handlung trotz der Überwachung durch den Täter erstaunlich wenig Sorgen und lässt diese Flanke offen. Fast dilettantisch ignoriert er diese Warnung. Und wenn am Ende der Täter Annas Sohn entführt, geht er plötzlich aufgrund eines Aktenstapels zum Gegenangriff über, der direkt mit einer Mischung aus Bluff und Effektivität ans Ziel führt.

 Bei einem Debüt hätte diese naive Vorgehensweise vielleicht überzeugt, aber es handelt sich inzwischen um den siebenten Stachelmann Roman. Dass der Geschichtsprofessor aus diesen bisherigen Fällen viel über die Denkweise von Verbrechern gelernt hat, spricht der Autor in den inneren Monologen, den Selbstzweifeln, aber auch der dickköpfigen Entschlossenheit seines Protagonisten immer wieder an. Er setzt nur diese Erfahrungen nicht in die Praxis um.

Das gilt auch für die Polizei. Natürlich ist es schwer, nach zwanzig Jahren in einem Mordfall zu ermitteln. Die wenigen Spuren wie eine Vermisstenmeldung, die zum Skelett passt und gleich zum Ziel führt, werden in der Gegenwart von der engagierten ledigen und natürlich schnell auch dem in einer Beziehungskrise steckenden Stachelmann verfallenden Polizistin geklärt, so dass das Team bereichert um den Opportunistin Georgie rudimentären Spuren auch in die tiefste DDR Vergangenheit folgen kann.

 Das ihr Vorgesetzter aber vor mehr als zwanzig Jahren zwei Mordfälle – die Leichen wurden kurz hintereinander gefunden – nach dem gleichen Muster in Hamburg eher oberflächlich bearbeitet, erscheint schon unglaubwürdig. Spätestens ab der Sekunde, als in der Gegenwart schnell festgestellt wird, dass die beiden Männer für die gleiche Firma gearbeitet haben. Und deren Chef kurze Zeit später vermisst gemeldet wird. Und da will niemand wirklich irgendwie ermittelt haben? Zu einer Zeit, als die Grenze gefallen ist und die Spedition immerhin Waren in den Ostblock transportiert hat. Als der Schmuggel über die Grenze noch gegenwärtiger als in der Gegenwart gewesen ist. Wenn die Verbindungen zwischen den Männern ein wenig versteckter gewesen wären, hätte der Leser noch geglaubt, dass die Polizei mit ihren damals noch primitiveren Ermittlungsmethoden nicht intensiver recherchiert hätte. Aber derartige rote Flaggen zu pflanzen und dann zu implizieren, dass die beiden bzw. drei Fälle kaum weiter bearbeitet worden sind, erscheint wie vieles in diesem Buch leider unglaubwürdig.  

 Vor allem als die Fakten bei ihrem Vorgesetzten auf dem Tisch liegen. Er räumt zwar ein, dass ihr interner Konkurrent bei dem Bombenanschlag auf einem gänzlich falschen Weg ist, aktive Hilfe gibt es aber erst nach der Entführung von Annas Sohn. Die wirkt aber wie ein Alibi, da Stachelmann wie angesprochen für den Leser aus dem Nichts heraus den einzigen in Frage kommenden Verdächtigen dank der alten Papiere herausfindet.

 Hier schließt aber auch ein weiteres Problem an. Die Zeit arbeitet gegen Christian von Ditfurth. Katalysator aller Ereignisse ist eine Episode aus den fünfziger Jahren, als vor allem die CIA mittels einer antikommunistischen Organisation in der DDR Verwirrung stiften wollte. Unterstellt man, dass mit Ende der KGU Ende der fünfziger Jahre dieser Spuk vorbei gewesen ist, muss der von einem Schlüsselereignis Betroffene wahrscheinlich zwischen 1950 und 1955 geborenen worden sein. Die vor rund fünfundzwanzig Jahren 1992 spielenden Ereignisse lassen sich chronologisch noch einordnen, in der Gegenwart wäre der Täter zwischen dreiundsechzig und achtundsechzig Jahre alt. Die in Frage kommende Person agiert aber wie ein Mann, der deutlich jünger ist. Von seinem Wesen bis zu seiner beruflichen Gegenwart in der Finanzdienstleistungsindustrie, dem Hang zu studierenden Callgirls und seiner an „American Psycho“ erinnernden Brutalität würde ein Leser ihn eher vom Alter her auf Mitte vierzig denn Mitte sechzig schätzen.          

   Was das Ereignis ist, dessen Entdeckung der Protagonist irgendwie herbeisehnt, um Stachelmanns Fähigkeiten zu testen und auf der anderen Seite fürchtet, bleibt eher unausgesprochen und zeigt, dass am Ende viele kleine Flanken, sorgfältig während des Plotverlaufs aufgebaut, keine wichtige Rolle mehr spielen.

 Ein abschließendes Problem ist Stachelmann selbst. Selbstzweifelnd, im Grunde verschlossen, neurotisch, aber nicht mehr in der Nähe eines Hypochonders, die Liebe von attraktiven Frauen ihm gegenüber anzweifelnd, im Grunde nicht beziehungsfähig, aber fast schon mitleidig von intelligenten, mit beiden Beinen auf dem Boden stehenden Frauen immer wieder aufgefangen, sich selbst im Wege stehend und dann doch souverän intellektuell den Fall lösend.  

 Christian von Ditfurth ist in seinem Stachelmann auch gefangen. Der Leser erwartet wie bei allen Serien mit bekannten und markanten Figuren unabhängig vom Medium Kontinuität. Diese weltfremde Besessenheit, dieses umfangreiche vor allem effektiv und schlagkräftig eingesetzte Geschichtswissen werden im vorliegenden „Böse Schatten“ mit der Elfenbeinturm Mentalität der Universität teilweise ein wenig ironisch kombiniert. Wahrscheinlich will Christian von Ditfurth einfach drauf hinweisen, dass nicht nur die Uni, sondern vor allem auch das Leben und die Fähigkeit, das Erlernte auch Umzusetzen für einen Menschen prägender ist als das vergilbende Diplom an der Wand. Und in dieser Hinsicht ragt Stachelmann  über seine teilweise zu Karikaturen verkommenen Kollegen und die eigennützigen Unterstützer des Universitätsbetriebs heraus.

 Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich der Autor bewegt. Den mit seinem Phlegma, seinen Selbstzweifeln und schließlich auch dem Selbstmitleid sowie fast tödlich einer frustrierenden Naivität seinem Gegenspieler gegenüber sowie der praktischen Ignoranz der Erfahrungen der bisherigen Fälle beginnt Stachelmann als Charakter auch zu nerven. Nicht nur Anna möchte ihn manchmal schütteln, auch der Leser.

 Die Figuren um Stachelmann herum wirken ein wenig zu schematisch. Die frustrierte Anna; die anfänglich auf Augenhöhe ermittelnde Polizistin, die schließlich zu einer Art Stichwortgeber und Resonanzboden „verkommt“, der agile wie freche Georgie und schließlich die eindimensionalen Polizisten mit ihrer Berufsblindheit. Angesichts der Breite der persönlichen Handlungsebene vor allem in einem direkten Vergleich mit dem Ermittlungsanteil macht Christian von Ditfurth zu wenig aus der Prämisse. Von dem nach Schema F gezeichneten Psychopathen und seinem einfach gestrickten Bruder ganz zu schweigen.

 „Böse Schatten“ ist kein guter Auftakt für Stachelmanns neue Fälle. Die Stärken der bisherigen sechs Fälle sind eher in eine Mustervorlage gepackt und stilistisch zu einheitlich bis bieder umgesetzt worden. Zu viele Fragen werden nicht aus der Ermittlungen heraus, sondern mehr als einmal dank des Zufalls – auch auf die KgU kommt Stachelmann nicht alleine, sondern aus einem anderen Zusammenhang heraus – eher oberflächlich bis pragmatisch beantwortet.

 Zurück bleibt alleine die positive Erkenntnis, wieder etwas aus der näheren deutschen Historie gelernt zu haben. Und das ist durchgehend die Stärke des Wissenschaftlers Christian von Ditfurth, der Geschichte mit Geschichten gut kombinieren kann.   

  • Taschenbuch: 416 Seiten
  • Verlag: Penguin Verlag (12. März 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3328101772
  • ISBN-13: 978-3328101772
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