In den Städten, in den Tempeln

Andreas Brandhorst 6 Horst Pukallus

Der alleinstehende Roman „In den Städten, in den Tempeln“ ist die erste Zusammenarbeit von Andreas Brandhorst und Horst Pukallus gewesen. 1986 und damit zwei Jahre später erschien im Ullstein Verlag noch eine Trilogie der beiden Autoren.

Aus heutiger Sicht ist der über dreißig Jahre alte Roman „In den Städten, in den Tempeln“  in mehrfacher Hinsicht interessant.  Andreas Brandhorst hat vor seiner Pause eine Reihe von exotischen SF Romanen geschrieben, welche ihm die Bezeichnung des deutschen Philip Jose Farmer eingebracht hat. Auf der anderen Seite wirkten viele seiner in dieser Phase veröffentlichten Romane ein wenig zu deckungsgleich und die exotischen Hintergründe konnten nicht immer die plottechnisch zu gedehnten Handlungsfaden ausgleichen.  Horst Pukallus ist vor allem als sozialkritischer Kurzgeschichtenautor und Übersetzer aufgefallen.  Ignoriert man seine Mitarbeit an verschiedenen SF Reihen dann ist sein alleinstehendes Werk vor allem von Kurzgeschichtensammlung geprägt worden. Die Konzentration auf das Wesentliche inklusiv einer gewissen Kritik am Kapitalismus sind markante Züge seines Werkes.

Auch wenn Brandhorst und Pukallus sehr unterschiedliche Erzähler sind, überzeugt „In den Städten, in den Templen“ über weite Strecken, bis die Autoren im fast grotesk erscheinenden Finale es sich nicht nehmen lassen,  eine neue Lebensform zu implizieren, welche in der Theorie den vorher kritisierten Endzeitsekten auf der Venus doch recht geben könnte. Das Finale wirkt wir ein pragmatischer Ausweg auf einem Dilemma, in das sich die Autoren bei der Suche ihres markanten, aber auch unsympathischen Protagonisten Clay S. Dalmistro nach seiner fast perfektioniert gezüchteten  Tochter auf dem Planeten der Liebe hinein geschrieben haben.

Die Erde ist im Grunde eine Diktatur des Kapitalismus. Auch wenn keine Szene auf dem blauen Planeten spielt, sondern ausschließlich die exotische und von einer Art Protoplasma als emotionaler Gratmesser dominierte Venus im Mittelpunkt der Handlung steht, sind die Anspielungen überdeutlich. Die Erde ist eine klassische, vielleicht auch ein wenig klischeehaft verzerrte Extrapolation des brutalen und Menschen verachtenden Kapitalismus. Anscheinend beherrschen Konzerne die Erde, alle Menschen sind quasi in Kasten eingruppiert und das Gesundheitssystem ist eine monetäre Fortschreibung der damaligen Entwicklungen. Wie mehrmals betont wird, hat sich Clay S. Dalmistro aus der Gosse ganz nach oben gekämpft. Er arbeitet inzwischen als eine Art Steuereintreiber für die Behörden, wobei der aktiv nach Sündern schauen darf und nicht auf Reaktionen angewiesen ist.  Er gilt als eine Art emotionsloser Karrieremensch, der selbst seine Tochter mit einem Niedlichkeitsfaktor von neun zu einer begehrten zukünftigen Gattin geformt hat. Über den eiskalten Menschen Dalmistro findet sich nicht viel in dem Buch. Anscheinend traut er sich auf der Erde nicht, seine harte Schale abzulegen, um nicht verletzlich zu erscheinen.   Wobei sich abschließend die Frage stellt, ob angesichts der bisher präsentierten Charakterzüge wirklich ein Mensch hinter der abweisenden Maske steckt. Diese Frage beantwortet die eher pragmatische Zeichnung des Protagonisten nicht abschließend.

Vordergründig will Clay S. Dalmistro also nach Steuersündern suchen. Hintergründ fahndet er nach seiner auf der Venus verschwundenen Tochter Shereen, die sich einem obskuren Kult angeschlossen hat, der ein „ewiges“ Leben in einer anderen Sphäre verspricht.

Mit seiner dominanten Art und Weise kommt Dalmistro auf der Venus nicht gut an.  Die Venus beherbergt nicht nur die Alternativen und die Aussteiger.  Brandhorst und Pukallus haben sichtlich Spaß, die lockeren Konventionen beginnend bei der provozierenden Kleidung seiner Begleiterin und indirekt auch seines Schutzengels und endend schließlich in der „Grube“, die an den Eingang zur Hölle erinnert,  derartig provozierend, aber trotzdem zu wenig erotisierend zu beschreiben, dass der zugeknöpfte bis verklemmte Dalmistro nicht mehr weiß, wo er hinschauen wollen.

Auf der anderen Seite weichzeichnen die beiden Autoren das Portrait einer von Sinneseindrücken und freiem Sex geprägten Kommune auf der Venus. Medizinische Versorgung ist selbstverständlich frei. Aggression und Gewalt soll es so gut wie nicht geben, das allgegenwärtige graue Protoplasma zu Füßen der Menschen soll eigentlich Gewalt in jeglicher Form unterbinden. Schnell zeigt sich, dass echte Verbrecher alternative Wege finden.

Während die Venusbewohner so emotional entspannt sind, fällt Dalmistro mit seinem aggressiven Verhalten immer wieder negativ auf. Dünnhäutig, heißblütig, fordernd. Natürlich ließe sich argumentieren, dass er auf seinem Weg von ganz unten in die Spitzen der Konglomerate und Politik vor allem Durchsetzungsvermögen mit einer überdurchschnittlichen Willensstärke gehabt haben muss. Aber als Steuerprüfer wird auch Geduld, die Liebe zum Detail und schließlich mindestens eine Art Bauernschläue gefordert. Und die ist überwiegend nicht gegeben, so dass Brandhorst/ Pukallus sich eher bemühen, die charakterlichen Unterschiede zwischen dem kantigen Dalmistro und der „I believe I can fly“ Gesellschaft auf der Venus herauszuarbeiten.

   Es ist rückblickend keine Überraschung, dass die Venus diesen eitlen selbstverliebten Mann von der Erde formen wird. Die Autoren verzichten zwar auf ein klassisches Happy End, aber der Epilog impliziert, dass Dalmistro zurückkommen wird.

Die grundlegende Handlung orientiert sich am Kriminalroman. Ein geliebter Mensch ist verschwunden, die vagen Spuren führen schnell ins Leere. Der Vater wird mit geschickt gefälschten Beweisen abgelenkt und einiges deutet darauf hin, dass nur Menschen mit entsprechender Brieftasche und damit potentiellen Spenden nach dem Übergang von der Sekte aufgenommen und ins Licht oder Paradies weitergeleitet werden. Die armen Schlucker werden abgewiesen.

Der Kriminalfall gestaltet sich eher konservativ.  Die Sekte ist vielleicht ein wenig übereifrig. Hätte sie kein gefälschtes Material präsentiert, wäre Dalmistros weitere Suche und die Konzentration auf einen einzigen potentiellen „Gefahrenherd“ in den Slums der Venussiedlung zu Ende gewesen. 

So kann er auf zwei Ebenen agieren. Warum die Sektierer allerdings so schockiert angesichts der Klienteninformationen reagieren, ist nicht nachvollziehbar. Mit ein wenig Recherche und nicht einmal intensiv eine der besten Idee des Buches – Damistro hat eine Art elektronischen Extrasinn in Form einer schwebenden Taschen  -    nutzend hätte jeder zu diesem Ergebnissen kommen können.

Der erste Mordanschlag auf sein Leben ist genauso originell wie die finale Idee, sich einem direkten Duell zu stellen.   Dazwischen finden sich einige Längen und Diskussionen, die wie eine Quadratur des Kreises erscheinen.  

 Auch wenn der Roman relativ kompakt ist, dauert es einige Zeit, bis der Leser sich auch wegen der durchgehend eher sperrigen, unsympathischen Charaktere sowie dem ein wenig belehrend, antiutopisch um jeden Preis entwickelten Hintergrund in den Roman eingefunden hat. Der Mittelteil des Buches ist deutlich flüssiger geschrieben worden und die finale Auseinandersetzung allerdings bis zur Absorption inklusiv  des anschließend eher pathetisch gekünstelt belehrenden Endes ist überzeugend gestaltet worden.

„In den Städten, in den Tempeln“ ist ein auch heute noch kurzweilig zu lesendes Kind der achtziger Jahre. In dieser Dekade konnte sich die Deutsche Science Fiction in der Langform entwickeln, auch wenn einige Texte nicht unbedingt in Ehren gealtert sind. Mit seiner Mischung aus Kriminalgeschichte und exotischem Hintergrund kann der Roman trotzdem punkten und unterhält immer noch solide.   

In den Städten, in den Tempeln

  • Broschiert: 173 Seiten
  • Verlag: Frankfurt am Main - Berlin - Wien: Ullstein, 1984, (1984)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3548310842
  • ISBN-13: 978-3548310848