Erntedank

Volker Klüpfel, Michael Kobr

Im zweiten Kluftinger Krimi – dem ersten, der nicht vorher in einem örtlichen Kleinverlag veröffentlicht worden ist- zeigen sich einige Strukturen der Serie. Auf der privaten Ebene wird der urige Kommissar wieder mit zwei im Grunde wenig ungewöhnlichen Situationen – Übernachten bei den Langhammers und der Terror im Schwimmbad - konfrontiert , während im Kriminalfall nach guten zwei Dritteln des Plots ein Verdächtiger eruiert wird, der trotz vieler Indizien es nicht sein kann. Der eigentliche Täter bzw. in diesem Fall Initiator befindet sich ebenfalls wie in „Milchgeld“ im Kreis der direkt oder indirekt Befragten, wobei von seiner Position her der Verbrecher am wenigsten in Frage kommt.  Konzentrierte sich „Milchgeld“ auch auf die Allgäuer Eigenarten, so geht „Erntedank“ einen Schritt weiter und versucht das touristische Allgäu zu mystifizieren.

 Privat wie beruflich wird Kluftinger morgens geschockt. Sein Bad schwimmt nach einem Wasserrohrbruch und in einem Waldstück in der Nähe von Kempten findet man die Leiche eines Mannes, auf dessen Brust eine tote Krähe platziert worden ist. Wer jetzt allerdings erwartet, dass diese beiden Handlungsebenen parallel und gleichwertig entwickelt werden, irrt sich. Der eigentliche Fall als schwächeres Glied des Romans tritt bis auf die übliche Vernehmung der Angehörigen und der Untersuchung des Arbeitsplatzes - es handelt sich um einen windigen Geschäftsmann, der Kaffeefahrten wie Senioren organisierte und überteuerte Gesundheitsprodukte verkaufte - die Ermittlung gänzlich in den Hintergrund. Erst als man eine zweite Leiche - eine ehemalige Frauenärztin, die wegen unerlaubter Abtreibungen ihre Lizenz zurückgeben musste - findet, nehmen die Ermittlungen wieder Fahrt auf und führen wie eingangs besprochen zu einem möglichen Täter. Da aber der Roman noch mehr als einhundert Seiten umfasst, ist es unwahrscheinlich, dass der Verdächtige wirklich schuldig sein kann. Während in "Milchgeld" Kluftinger im Grunde durch mehrere Zufälle und Beobachtungen schließlich über zwei falsche, aber keinesfalls Unschuldige auf den eigentlichen Täter gekommen ist, muss Kommissar Kluftinger mit seinem Team im vorliegenden zweiten Fall Ermittlungsarbeit leisten. Auch hier leistet ihm in doppelter Hinsicht eine Begegnung der zufälligen Art Hilfestellung, aber rückblickend macht der Fall nur bedingt Sinn. Serienmörder insbesondere mit einem Sendungsbewusstsein inklusiv entsprechender Kritik an der Justiz sind nicht selten. In den USA funktioniert diese Prämisse in erster Linie, in dem die Täter immer grausamer und exzentrischer agieren. Dieser Prämisse sind die Autoren mit den angesprochenen Legenden des Algäus gefolgt. Für zusätzliche, aber leider unnötige Ablenkung soll in dieser Hinsicht auch der isoliert stehende Prolog sorgen. Mit einem Brentano Gedicht rechtfertigt der Täter nicht unbedingt seine Taten, aber markiert seine Opfer. Angesichts der langen Liste, die noch abgearbeitet werden sollte, erscheinen diese Hinweise nicht nur überflüssig, sondern aufgrund der mangelnden Charakterisierung des Mörders unlogisch. Er braucht die Polizei nicht herausfordern, da er mit deren Arbeit ja im Grunde einverstanden ist und eine neue Form der Gerechtigkeit sucht. Auch die Idee einer Profilierung scheidet ja aus, weil er der Meinung ist, nur die Arbeit zu vollenden, welche das Gesetz ihm verwehrt hat. Ohne diese Hinweise und den Faktor Zufall hätte Kluftinger den Fall niemals lösen können. Diese Versatzstücke sind allerdings im Vergleich zum ersten Kluftinger deutlich routinierter zusammengefügt worden und die Idee, die Mythen des Allgäus mit einem Kriminalfall zu verbinden überzeugt mehr als der Subventionsbetrug inklusiv einer Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung.

Aber die Mordserie nimmt vielleicht ein Drittel des ganzen Romans ein. Mehr und mehr stehen Kluftinger und sein Team im Vordergrund. Bei seinen Mitarbeitern nehmen sich die Autoren Zeit, ihnen zumindest rudimentäre Konturen zu geben und insbesondere Hefele überzeugt deutlich mehr als ihm ersten Roman, während die attraktive Sekretärin mit ihrem sächsischen Akzent genau wie der Clown Maier eher die typischen Klischees bedienen. Mit Kluftingers Chef und seinen Kurzauftritten sowie dem möglicherweise homosexuellen Staatsanwalt - hier bewegen sich die Autoren auf einem sehr schmalen Grad, haben aber zumindest den Mut, die Idee zum Leidwesen Kluftingers ganz anders als erwartet aufzulösen - verfügen sie noch über Protagonisten, die ausbaufähig sind.

Kluftingers Privatleben ist die Stärke des vorliegenden Bandes, wobei der Handlungsbogen  manchmal zu einer Slapstickkomödie mit einem bornierten, vielleicht sogar arroganten und nicht immer herrlich dumm naiven Kluftinger verkommt. Durch den Rohrbruch sind die Kluftingers gezwungen, bei den Langhammers einzuziehen. Genüsslich nehmen sich die beiden Autoren sehr viel Zeit, die sozialen Unterschiede - grüne Yuppies auf dem Gesundheitstrip und dort ein bayerisches Mannsbild mit Wurstsalat und Fleischsemmel - herauszuarbeiten. Das "Trivial Pursuit" Duell gehört dabei zu den Höhepunkten, während die Mitnahme des Fernsehers albern erscheint. Zu sehr gedehnt wird der Besuch des örtlichen Spaßbades mit dem Saunabesuch und der Rutschfahrt. Vieles wird nicht nur zu breit getreten, vor allem wirkt es aufgesetzt. So nett und treu doof können die Langhammers nicht sein, dass sie die Fassade insbesondere Kluftingers nicht durchschauen. Und selbst seine Frau sollte anders reagieren, wie "Milchgeld" eindrucksvoll gezeigt hat. Natürlich versuchen die beiden Autoren, Kluftinger nicht nur die notwendigen Ecken und Kanten zu schenken, die Figur muss auf der einen Seite als ermittelnder Kommissar Respekt beim Leser erzielen, auf der anderen Seite soll die witzig und natürlich, wie dem Allgäu entstammend erscheinen. Das funktioniert nicht immer. Kluftinger stellt sich nach außen nicht mehr so tollpatschig an, aber auch nicht natürlich witzig. Herausragend ist die Episode mit dem Wurstsalat im Schlafzimmer, während die Idee des seinen Wagen mit Äpfeln bzw. Apfelmost überladenden Kluftinger inklusiv der Polizeistreife eher albern erscheint. Natürlich ist es ein schmaler Grad, einen spannenden Krimi mit einer exzentrischen, aber liebenswerten Figur in der Mühe zu schreiben und nicht in den Bereich der billigen Parodie abzurutschen. Als Fall war "Milchgeld" deutlich konstruierter, während als Roman "Erntedank" zu sehr bemüht erscheint.

Zu den Stärken des Romans gehört allerdings, dass sich die Autoren sehr viel mehr Mühe geben, dass Allgäu literarisch touristisch für die Leser zu erschließen und den historischen Hintergrund unauffällig, aber auch informativ zu erläutern. Dadurch wirkt die Szenerie dreidimensionaler und Kluftingerr paßt besser in diese Landschaft. Es ist schade, dass im Gegensatz zu ihrem Erstling die Autoren überambitioniert erscheinen und eher verzweifelt versucht haben, alles noch bessere zu machen. Erreicht haben sie das Gegenteil, zumal wie im ersten Buch eine vielleicht auch die Spannung verstärkende Bedrohung der Polizei oder viel wichtiger von agierenden Personen fehlt. In beiden Romanen werden insgesamt vier Leichen gefunden. In "Milchgeld" kommt es zumindest zu einer Schlägerei zwischen den Handlagern der Hintermänner und in "Erntedank" am Ende zu einer direkten Konfrontation mit dem Täter, der sich ein drittes, bislang handlungstechnisch unbekanntes Opfer ausgesucht und damit den Schlüssel zur Auflösung des Falls Kluftinger in die Hände gegeben hat. Da der Leser keine Sekunde daran zweifelt, dass Kluftinger es überleben wird, fehlt dem Roman eine innere Dynamik, während die Ermittlungen aufgrund der dominieren privaten "Katastrophen" sich manchmal zu sehr hinziehen. "Erntedank" wirkt daher wie ein zweiter Einstiegsroman in das kriminelle Allgäu, in dem einige Figuren noch einmal den neuen Lesern vorgestellt werden und die wichtigsten Protagonisten sich auf einem eher niedrigen Niveau nicht unbedingt weiter entwickeln. Als Freizeitlektüre ist der Roman allerdings schon aufgrund des dieses Mal aber eher wie eine eindimensionale Parodie des typisch dickköpfigen Allgäuers erscheinenden Kluftinger weiterhin zu empfehlen.

 

  • Taschenbuch: 384 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch; Auflage: 32 (Oktober 2007)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3492245110
  • ISBN-13: 978-3492245111
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