Gladiator

Philip Wylie

In Deutschland ist Philip Wylie in erster Linie durch seinen auch verfilmten Roman „Wenn Welten zusammenstoßen“ bekannt geworden. In den USA hat er eine Reihe von immer sozial und vor allem auch ökologisch kritischen Romanen und Kurzgeschichten geschrieben, in denen er die politische Verhältnisse und Entwicklungen bis zur Kommunistenjagd und entsprechenden Paranoia entlarvte. Sein schon 1930 veröffentlichter Roman „Gladiator“ beschreibt die Entstehung eines Supermanns, der allerdings nicht von einer fremden Welt auf die Erde kommt, sondern im Labor vom eigenen Vater mit freien Radikalen gezüchtet wird. Der Roman könnte aufgrund Hugo Danners Fähigkeiten – übermenschliche Strenge bis zum fast schwerelosen Springen, aber nicht fliegen; eine kugelsichere Haut und einen überlegenen Intellekt – sowie seiner sozialen Entwicklung – er sucht sich immer Tarnexistenzen und lehnt Reichtum per se ab – ein Vorbild für Jerry Siegel und Joe Shuster „Superman“ Comics gewesen sein. Aber auch „Captain America“ als Supersoldat, der heldenmütig den deutschen Erzfeind in einem Zweiten Weltkrieg bekämpft, spiegelt sich in „Gladiator“ wieder. Während es keine Bestätigung gibt, dass Siegel und Shuster diesen in den USA immer wieder nachgedruckten Roman wirklich gelesen haben, findet sich in Moores/ Gibbons „Watchmen“ sowie in Moores „Marvelman“ eine direkte Hommage an diesen Bahnbrechenden Roman. Philip Wylies „The savage Gentleman“ gilt als Vorbild von „Doc Savage“ und vielleicht auch Paul Alfred Müllers „Sun Koh“. Das könnte das parallele Erscheinen in den USA und Deutschland  dieser in ihrer Grundstruktur und hinsichtlich ihres Protagonisten so ähnlichen Pulpserien erklären, aber interessanter ist, dass Wylie in einem kurzen Exkurs sogar den Atlantis Mythos mit den Mayas und ihrer untergegangenen Hochkultur in Verbindung bringt. Wie es sich für Wylie und seine streng religiösen Ansichten gehört, ist der „Superman“ wider Willen aber doch nicht die Krone der Schöpfung, sondern ein Exkurs/ eine Mutation, welche sich schließlich dem Willen Gottes zu unterwerfen hat. Im Gegensatz aber zu allen Superhelden und als Vorgriff auf die postmodernen amerikanischen Superheldencomics der Gegenwart wie „Astro City“ ist Wylies Hugo Danner ein Getriebener, der feststellen muss, dass er nicht nur den Menschen trotz seines Willens, Gutes zu tun, Angst macht, sondern das korrupte und manipulierte amerikanische System ihn immer wieder in die Enge treibt und jede seiner Taten außerhalb der brutalen Grabenkrieges in diesem fiktiven Zweiten Weltkrieg auf den Kopf stellt und deren positive Auswirkungen negiert.    

Während Superman ja von einem anderen Planeten stammt und Doc Savage/ Sun Koh ihre ambivalenten Fähigkeiten durch ein hartes Training erlangt haben, ist die Entstehungsgeschichte Hugo Danners vergleichbar mit „Captain America“. Ein Superkrieger, der aber in diesem Fall durch die Experimente des Vaters in seinem kleinen Laboratorium „gezüchtet“ worden ist, nachdem die ersten Versuche mit einer Superkatze teilweise schon gelungen sind. Professor Abednego Danner versucht das genetische Potential des Menschen zu heben. Er lebt in einer unglücklichen Ehe mit seiner konservativen, religiösen Frau. Als die erste Experimente mit einer schwangeren Katze überraschende Ergebnisse zeigen, experimentiert er mit seinem eigenen Sohn als Fötus im Bauch seiner schwangeren Frau. Obwohl sie später von der genetischen Manipulation ihres Sohnes erfährt und wegen dieser Gotteslästerung empört ist, macht Wylie auf der emotionalen Ebene sehr wenig aus diesem Szenario. Pragmatisch passt sich Danners farblose Ehefrau der Situation an, während Hugo Danners Entwicklung wie in den ersten Superman Comics relativ zügig mit einigen markanten und erstaunlich bekannten Szenen abläuft. Neben der obligatorischen Erziehung mit einem Schwerpunkt, sich der Masse anzupassen und die körperliche wie anscheinend auch intellektuelle Überlegenheit zu verstecken, legen sie auf soziale Werte wie Respekt, Hilfsbereitschaft und schließlich auch einen Sinn für Fairness/ Fairplay Wert. Wenn Hugo Danner seine Kräfte zum Guten einsetzt – er hebt einen Traktor an, damit ein schwer verletzter  Mann darunter herausgezogen werden kann -, dann wird ihm meistens nicht geglaubt. Auf dem College zeigt er seine überlegenen athletischen Fähigkeiten als Football Star immer sehr stark am Rande zur Übertreibung. Als seinen Eltern das Geld für ein weiteres Collegejahr ausgeht, verdingt er sich in einer der ersten dunklen Szenen als professioneller Ringer und Kraftmensch auf einem Jahrmarkt, wo er mit einer jungen Frau zusammenlebt, die zumindest teilweise ihren Lebensunterhalt sittsam angedeutet als Prostituierte verdient hat. Die Begegnung mit seinen College Mitschülern zeigen die sozialen Unterschiede auf. Hugo Danner schämt sich auf der einen Seite nicht für seine Assistentin, weiß aber auf der anderen Seite, dass er nicht zu den reicheren Mitschülern gehören kann. Als er seinen Emotionen freien Lauf lässt, tötet er bei einem Footballspiel seinen Gegenspieler. Auch hier arbeitet Wylie mit Kontrasten. Während die Oberschicht seine sportlichen Fähigkeiten in erster Linie ausgenutzt hat, badete er in der Begeisterung der einfachen Zirkusbesucher und konnte seine Mauern ein wenig lockern. In einem fiktiven Krieg zieht er für die französische Fremdenlegion in den Krieg. Auch hier überzeugt er nicht nur mit seiner Tapferkeit – aus Wut über den Verlustes eines Freundes/ Kameraden zerstört er hinter den feindlichen Linien in einer Nacht und Nebelaktion auf einhundert Kilometern Kriegsmaterial und beendet den Krieg im Grunde alleine -, sondern wird dank spektakulärer, von seinen Kameraden im Grunde ignorierten Aktionen zu einem Mittelpunkt der Einheit. Wenn er plötzlich mehrere hundert Kilo Lebensmittel und Munition alleine zur Stellung bringt, kann niemand mehr offenes Auge von einem besonders starken Mann sprechen. Wylie malt ein dunkles, ein nihilistisches Portrait des Krieges, in dem Hugo Danner wie später Captain America den Unterschied macht. Hier fehlt jeglicher Aspekt eines schnüffelnden Geheimdienstes. Die Hierarchieebenen sind erstaunlich flach und Hugo Danners Enttäuschung hinsichtlich seiner Umwelt wird immer von Ordnungskräften eingeleitet. So erhält Danner in einer zu offensichtlich in den späteren Superman Comics – siehe „Action Comics 1“ – übernommenen Szene einen Job bei einer Bank. Er kann einen im Safe eingeschlossenen Mann befreien. Anstatt ihn als Helden zu feiern, wirft man ihm die absichtliche Zerstörung des Safes vor, verhaftet und foltert ihn. Bei seiner Flucht hebt er einen Wagen über seinen Kopf. Sowohl enttäuscht von der amerikanischen Politik als auch mittellos versucht er sein Geld mit einfachen, die Unterschicht ausbeutenden Arbeiten zu verdienen, bis er schließlich einer Expedition in den lateinamerikanischen Dschungel anschließt und aus dem Nichts heraus das Gespräch mit Gott sucht. Diese Flucht in die Religion könnte in der Theorie einen Kreis schließen – seine Mutter hat sich in dogmatischen inhaltsleere Lehren geflüchtet - , wird aber von Wylies schockierend pragmatisch und Richard Mathesons „Geschichte des Mr. C“ widersprechend eingesetzt.  

Obwohl ausgesprochen kompakt und stellenweise erstaunlich emotionslos niedergeschrieben ist „Gladiator“ weniger eine klassische und damit auch aus heutiger Sicht aufgrund der zahlreichen späteren Comicveröffentlichungen ähnlicher Entwicklungsgeschichten klischeehafte „Coming of Age“ Story, sondern die verzweifelte und immer absurder werdende Suche eines überdurchschnittlich begabten Menschen nach seinem Platz auf der Erde und damit auch in der Gesellschaft. Aus gutem Hause kommend muss sich Hugo Danner mehr und mehr verstecken, bis er schließlich in den Erzgruben arbeitet und aufgrund seines Fleißes und seiner Leistungsbereitschaft entlassen wird, da er zu viele andere Arbeiter negativ mit seiner Kraft beeinflusst und frustriert. Im Krieg kann er auch nur überzeugen, wenn er sich gegen seine allerdings wohlwollenden Vorgesetzten stellt und auf eigene Faust ermittelt. Bei seinen Rettungsaktionen wird der finanzielle Schaden über ein Menschenleben gestellt. Wenn Hugo Danner nach seinen Erfahrungen ausgerechnet im Sport die Beherrschung verliert, stirbt ein Mensch. Obwohl ihm niemand einen Vorwurf macht, zerbricht seine Persönlichkeit.  Ohne Kostüm oder die Idee, als Vigilant das Verbrechen zu bekämpfen, ist Hugo Danner auf der emotionalen Ebene ein naiver, ein liebenswerter Junge, der kindlich bemüht zum Beispiel eine nachhaltig sexuelles Interesse einem gefallenen Mädchen hilft oder später sich am Besten mit einem ebenfalls dem reichen, distanzierten Elternhaus entkommenen Jungen versteht. In den USA als Nichtsnutz verschrien, der gegen seine Eltern rebelliert, macht Hugo Danner ihn nach dessen Tod im Krieg zu einem Eltern, um ein falsches, aber symbolisches Bild vor seinem Vater zu malen. Hugo Danner ist der Dreh- und Angelpunkt eines im Grunde einsamen Menschen, der nicht wegen seiner körperlichen Supermannfähigkeiten in dieser anonymen und distanzierten Gesellschaft scheitert, sondern weil niemand bereit ist, unabhängig vom Handeln eines Menschen über den Tellerrand in das Herz eines Helden wider Willen schauen möchte. Die Ähnlichkeiten insbesondere zu den ersten „Superman“ Geschichten sind erstaunlich stark. Auch wenn Wylie den Homo Superior in einer ein kurzes, aber intensives Leben umfassendes Biographie charakterisiert, ist sein Roman aufgrund der verschiedenen sozialen Kritikpunkte am Wirtschaftsmoloch Amerika ein historisches Dokument und ein Buch, das in seiner intensiven, reflektierenden, aber niemals manipulierenden Analyse des Ideals der Menschlichkeit Olaf Stapledon erstaunlich nahe kommt und wie die Pulp Vorlage zu Doc Savage/ Sun Koh „The savage Gentleman“ vor allem in Deutschland einer Entdeckung harrt. 

 

GenreSpeculative fiction
PublisherAlfred A. Knopf
Publication date
1930
Media typePrint
Pages332