Sherlock Holmes in Dresden

Wolfgang Schüler

Wolfgang Schüler legt mit „Sherlock Holmes in Dresden“ nach „Sherlock Holmes in Leipzig“ und „Sherlock Holmes in Berlin“ seinen dritten Roman um die Abenteuer des berühmten Detektivs und seines in diesem Roman erstaunlich aktiven Partner Watson vor. Plottechnisch ist es leider der Schwächste der drei Bücher. Das liegt weniger an dem eigentlichen Fall, sondern ist in der Tatsache begründet, das Wolfgang Schüler überambitioniert ein Szenario konstruiert und dabei spannungstechnisch jegliche Seitenarme ignoriert. Wie er den Plot präsentiert, reicht im Grunde eher für eine Novelle aus.

Zu Beginn des Romans kommen Sherlock Holmes und Watson in Leipzig an, wo sie unter andrem das wenige Tage zuvor vom Kaiser persönlich eingeweihte Völkerschlachtdenkmal besuchen wollen. Auf dem Bahnhof wird angeblich auf sie geschossen. Die Kugel des Attentäters tötet eine unbeteiligte Person. Diesen roten Faden ignoriert Wolfgang Schüler im Verlaufe seines Romans, anstatt hier ein notwendiges Spannungselemente einzuführen. Holmes und Watson gelingt es mittels eines Tricks, den Attentäter zu überwältigen. Es handelt sich um Colonel Moran, den ehemaligen Stabschef Professor Moriartys. Ohne Frage ist Schüler diese Überraschung gelungen. Am Ende des Buches versucht der Autor ohne Not Morans Aufgabe zu relativieren und stellt ihn an den Anfang einer Schnitzeljagd. Die Erklärung ist wenig überzeugend, da zumindest ein geschickter angelegtes Attentat  auf Holmes schon bei Arthur Conan Doyle gescheitert ist und zweitens aus der Entfernung mit der damaligen Waffentechnik kein Erfolg in beide Richtungen vorprogrammiert werden konnte. Während sich Watson und Holmes mit der strengen sächsischen Polizei herumschlagen, kann Moran fliehen. Die eher vage ausgelegte und nicht selten auf den Faktor Zufall zurückgreifende Spur führt nach Dresden, wo Holmes und Watson auf ein sonderbares Hospital stoßen, das obskure Heilmethoden für reiche Klienten ohne Verwandten entwickelt hat.

Holmes und Watson ermitteln teilweise geradlinig, teilweise auch ausgesprochen originell. Da wäre Watsons Anstellung als Kammerdiener, die er trotz seiner exzellenten Referenzen im Grunde nicht erhalten kann. Holmes hat diese Zeugnisse extra von einem Offizier der Leipziger Polizei anfertigen lassen, es fehlt dem überforderten Doktor aber das Fachwissen. Betrachtet man den Roman rückblickend kritisch hinterfragend, macht diese Passage nur Sinn, wenn das Servicepersonal dieses Hauses ebenfalls in den gesamten Plan eingeweiht worden wäre. Niemand hätte erstens Watson wirklich irgendwann in der Zukunft eingestellt und zweitens hätte diese Einstellung angesichts des Krankheitszustandes des Hausherren keinen Sinn gemacht. Hätte Schüler eine Figur seines Dreigestirns des Verbrechens – als erfolgreiche Unternehmer sich gebend – handlungstechnisch nach „vorne“ gezogen, um das Interview zu führen, wäre diese Passage besser und überzeugender in den Kontext integriert worden. So geht es weiter. Die Grundidee der Verbrecher wirkt wie eine medizinisch kaufmännische Variation der Geschäftspraktiken aus Karl Mays „Der Schut“ und die abseits in einem Dorf gelegene „Burgruine“ müsste der örtlichen Bevölkerung durch den stetig mehr werdenden nächtlichen „Verkehr“ auffallen. Hier passen Holmes und Watsons Erkenntnisse zu wenig zu den Fakten, auf welche sie später stoßen. Das Holmes schließlich aus der gefährlichen Situation, in welche er Watson natürlich wieder ohne dessen Wissen geführt hat, mittels zweier „Deus Ex Machina“ Lösungen herauskommt, wirkt nicht nur unglaubwürdig, hier hat es sich der Autor viel zu einfach gemacht. Wie schon angesprochen wirkt das Ende angesichts der langen Vorbereitung nicht nur zu abrupt und hektisch, in James Bond Manier müssen die Schurken natürlich vor ihrem Ende Holmes und Watsons ausführlich ihre Pläne vorstellen.    

 

Neben diesen inhaltlichen Schwächen überzeugt Wolfgang Schüler auch stilistisch zu wenig. Im vorliegenden Buch fehlt ihm das Gefühl für die Freundschaft Holmes und Watsons. Manchmal wirken die Dialoge zu flapsig. Während die Teamarbeit natürlich inklusiv Holmes Einzelgängermarotten zum Wohle der gesamten Ermittlungen sehr gut funktioniert, vermisst der Leser die Wärme zwischen diesen beiden Figuren. Auf der emotionalen Ebene wirkt Wolfgang Schüler zu überfordert.  Hinzu kommt ein frustrierender Hang zur historischen Belehrung. Keine Figur, die sich nicht mit einem teilweise seitenlangen Monolog über historische Fakten und Faktchen einführt. Das ist für den Leser ohne Frage belehrend und informativ, wirkt aber in einem Kriminalroman kontraproduktiv. An einigen Stellen hätten Fußnoten ausgereicht, da zumindest Sherlock Holmes sich wie in einigen anderen Stellen eindrucksvoll nachgewiesen wird auch im Kleinen auskennt. Dabei reicht das Spektrum der Fakten von sächsischer Justizpolitik über adligen Klatsch bis zu verschiedenen historischen Bauwerken. Um es deutlich herauszustellen, das liest sich allerdings nicht uninteressant und Wolfgang Schüler gibt sich sehr viel Mühe, Städte wie Leipzig und Dresden in ihrer letzten Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg detailliert und lebensnah darzustellen, in der hier vorliegenden Masse angesichts des eher in der Erzählform schleppenden Plots ist es zu viel des Guten. Andere Aspekte werden von Wolfgang Schüler ausgeblendet. Die Geschichte spielt im Jahre 1913, als die Spannungen insbesondere zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien sich kontinuierlich steigernden. Konsequent blendet Schüler jegliche Politik aus. Liegt es daran, dass sich Watson und Holmes aufgrund ihrer Sprachkenntnisse wie Einheimische bewegen? Oder letzt endlich am ins Gigantische auch in Deutschland gesteigerten Ruf des Detektivs? Holmes findet in erster Linie persönliche Hilfe bei Bekannten, kann sich in Sachsen ansonsten aber frei bewegen. Vielleicht hätte es dem Roman gut getan, wenn der Autor diesen historischen Aspekt intensiver in die Geschichte integriert hätte, zumal Holmes durch die Verbindung mit seinem Bruder Mycroft durchaus auch mit Misstrauen von preußischen Militärs betrachtet werden müsste.

 

Auf der anderen Seite fügt Wolfgang Schüler positiv seinem Roman eine Reihe von Originalen hinzu. Der Leser hat das Gefühl, immer wenn der Autor von den beiden überragenden Protagonisten einen Schritt zurücktreten und über Sachsen im Allgemeinen sowie im vorliegenden Fall Dresden im Besonderen schreiben kann, lebt seine Geschichte dank kleiner Anekdoten auf. Der Hintergrund aller drei „Sherlock Holmes“ Romane aus seiner Feder ist überdurchschnittlich gut recherchiert und die Städte leben am Vorabend des verhängnisvollen Ersten Weltkriegs ohne Frage auch auf.  

 

Wie schon angesprochen hätte „Sherlock Holmes in Dresden“ auch ohne die beiden berühmten Detektive nicht ganz zufrieden stellend funktioniert. Es besteht kein Grund, Sherlock Holmes und Watson an dem Gängelband bis zum finalen Versteck zu führen. Hier unterstellt Wolfgang Schüler den drei Männern bodenlose Arroganz und eine Unterschätzung von Holmes Fähigkeiten. Und das wirkt unglaubwürdig, da Holmes ja Professor Moriarty als auch Colonel Moran mehrmals „besiegt“ hat. Viel überzeugender wäre es gewesen, wenn Holmes trotz verschiedener Behinderungen hinter das Geheimnis des Sanatoriums gekommen und dann die Verbindungen zu Moriarty aufgedeckt hätte. Das Attentat auf die Dame am Leipziger Bahnhof hätte als Katalysator der Ermittlungen dienen können. Holmes und Watson hätten sich aufgemacht, Verwandte dieser Dame zu suchen und wären dann über diese Verschwörung und das lukrative Unternehmen gestolpert. Wie angesprochen agiert Wolfgang Schüler zu überambitioniert, sucht für den britischen Detektiv das Besondere und übersieht leider den einfachen, aber in diesem Fall sehr viel effektiveren Weg.  Viel zu viel Potential wird im vorliegenden Roman verschenkt, was die Lektüre von „Sherlock Holmes in Dresden“ zu einem leider ambivalenten, nicht ganz zufrieden stellenden Leseerlebnis macht.  

 

 

 

 

 

 

Sherlock Holmes in Dresden

Wolfgang Schüler

ISBN 9783942446846

250 Seiten, KBV Verlag, Taschenbuch

März 2013

 

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