Mit Seele und zwei Herzen: Kritik zum Auftakt der 11. Staffel Doctor Who

SPOILER

Die Einführung einer neuen Doctor-Regeneration ist immer eine große Sache. Beim Start der mittlerweile elften Staffel von Doctor Who liegt besonderer Druck auf allen Beteiligten: Zum ersten Mal in der über 50-jährigen Seriengeschichte wird die Kultfigur von einer Frau dargestellt. Dies jedoch steht bei “The Woman Who Fell to Earth” definitiv im Hintergrund, und es gelingt ein überzeugender Auftakt.

Viele Planeten haben einen Norden

Okay, okay - ob Sheffield Nord- oder Mittelengland zugeschrieben wird, darüber sind sich selbst Briten uneinig. Aber alleine schon die Entscheidung, als Ausgangspunkt der ersten Geschichte nicht wie so oft London zu wählen, dürfte kein Zufall sein: Neuer Doctor, neue Crew, neues Revier.

Chris Chibnall selbst schrieb das Drehbuch zu seinem Erstauftritt als Showrunner, die Regie überließ er Jamie Childs (Poldark, His Dark Materials). Wer Chibnall bisher vor allem durch Broadchurch kennt, weiß, dass er ein Meister darin ist, mit kleinen Alltäglichkeiten und leisen Tönen dem Publikum  Charaktere, Situationen und Umgebungen in kürzester Zeit tiefgehend nahe zu bringen. Auch diesmal gelingt ihm das - obwohl es sich um durchweg unbekannte und zudem gleich mehrere neue Figuren handelt, hat man bereits nach wenigen Minuten ein gutes Bild von und Verbindung zu ihnen.

Da wäre die Kleinfamilie rund um Ryan Sinclair, einem 19jährigen Vlogger, der noch nicht so recht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Nach dem Tod seiner Mutter und mit einem abwesenden Vater wohnt er bei seiner Großmutter Grace (Sharon Clarke) und deren zweiten Ehemann Graham (Bradley Walsh). Der leicht unsichere Ryan, seine liebevoll-taffe Nan, eine Krankenschwester, und der sehr bemühte, bodenständige Busfahrer Graham sind einem auf Anhieb sympathisch.

Zwar rückt Yasmin Khan (Mandip Ghill), genannt Yaz, im Verlauf der Episode etwas in den Hintergrund, dennoch bekommt man einen guten ersten Eindruck. Die zielstrebige junge Polizistin, die mit dem ständigen Schlichten von kleineren Straßenverkehrsdelikten völlig unterfordert ist, die anpacken und schnell denken kann.

Sie ist The Doctor

Auch wenn sie sich anfangs noch nicht gleich an ihren Namen erinnern kann, so ist Jodie Whittaker unmissverständlich ab der ersten Sekunde The Doctor. Es ist gut, dass ihr erster Auftritt in der Episode nicht direkt zu Beginn ist. Sie stößt, oder eher fällt, erst zu den anderen, als man schon ein gewisses Gefühl für deren Charaktere hat.

Es wird auch nochmal deutlich, warum Staffel 11 ein guter Einstieg für neue Whovians sein kann. Zwar ist Dreizehn, wie auch ihre Vorgänger, so kurz nach der Regeneration noch nicht ganz bei sich, aber nicht völlig verwirrt. So wirft sie an passender Stelle ihren neuen Begegnungen, und somit auch dem Publikum, kurze Erläuterungen zu den verrückten Dingen, die sie tut, zu. Ohne zu sehr zu verwirren - oder noch schlimmer - zu sehr lehrerhaft zu erklären.

Dass sie nun in einem weiblichen Körper steckt, findet nur am Rand Erwähnung. Erst zum Ende der Folge erhält sie ihr neues Outfit, bis dahin agiert Whittaker im Gewand ihres Vorgängers. In einzelnen Momenten vermag man auch noch etwas Peter Capaldi in ihrer Darstellung durchblitzen zu sehen, obwohl sie dennoch sofort erkennbar einen ganz eigenen, aufgeweckten Stil für ihren Doctor hat.

Auch Dreizehn ist pragmatisch: Ohne Tardis und Screwdriver zur Hand muss sie selbst tätig werden. Immerhin ist Sheffield bekannt für Stahlverarbeitung, was liegt also näher, als selbst zu basteln. So erklärt sich auch das sehr ungewöhnliche Aussehen für einen Sonic Screwdriver. Die knapp einminütige Sequenz, in der sie sich aus herumliegenden Material selbst etwas improvisiert, dürfte schon jetzt wichtiger Teil der Seriengeschichte sein.

Die dunklen Töne

Wie bereits durch Vorberichte bekannt, ist die filmische Qualität gestiegen. Tatsächlich beeindruckt schon die erste Episode mit guter Cinematographie und CGI, die deutlich zeitgemäßer ist als bislang von Doctor Who gewohnt.

Dies wird natürlich vor allem bei den fremdartigen Kreaturen deutlich: Tim Shaw ist ein Außerirdischer auf Trophäenjagd. Hochgepanzert, aber ohne Waffen, wird er auf der Erde abgesetzt, um eine festgelegte Zielperson zu finden und zu seinem Planeten zu bringen. Dann hat er den Wettbewerb um die Ehre gewonnen. Dabei geht er äußerst brutal vor, was zu einer für Doctor Who ungewöhnlich hohen und vor allem sichtbaren Sterbequote führt. Nicht genug: Seinen Opfern entfernt er jeweils einen einzelnen Zahn.

Was erst nur eigenartig wirkt, wird bei der Enthüllung seines Gesichts richtig unheimlich: Es ist über und über mit menschlichen Zähnen bestückt. Zwar gab es in der Vergangenheit immer mal wieder unheimliche Gestalten bei Doctor Who, etwa die Weeping Angel oder die Silence, doch keine von denen hatte so ein Horrorfilm-Aussehen. Davon möchte ich dann doch lieber keinem Cosplay begegnen.

Noch mehr schockiert jedoch der tatsächliche Tod von Grace. Innerhalb der einen Stunde ist die engagierte, liebevolle, witzige, abenteuerlustige Großmutter einem richtig ans Herz gewachsen. Sie wird dann auch nicht von einem Alien pulverisiert, in eine andere Galaxie geschleudert oder was man auch immer sonst bei Doctor Who an Verlust noch so kennt - im Endeffekt stirbt sie relativ banal: Beim Versuch ihren Enkel zu retten, klettert sie an einem Kran hoch und stürzt nach Stromschlag. In allen Gesichtern ist abzulesen: Das ist endgültig, kein magisches Comeback - wir sind nicht mehr in der Moffat-Ära.

Fazit

Vieles neu und doch vertraut. Ein grandioser Start für Chibnall, Whittaker und Team. Es gelingt von Anfang an, das richtige Doctor-Who-Gefühl zu vermitteln und zeitgleich etwas Frisches zu liefern, das sehr neugierig auf die weiteren Abenteuer macht.

Episode Two Trailer | The Ghost Monument | Doctor Who: Series 11

Coming Soon | Doctor Who: Series 11

Doctor Who - Alle Doctors

Originaltitel: Doctor Who
(klassische Serie 1963–1989, TV-Film 1996, seit 2005)
Erstaustrahlung am
23.11.1963 auf BBC One
Aktuelle Hauptdarsteller:
Peter Capaldi (12. Doctor), Jenna-Louise Coleman (Clara Oswald)
Frühere Doktoren:
William Hartnell (1. Doctor, 1963-1966), Patrick Troughton (2. Doctor, 1966-1969),  Jon Pertwee (3. Doctor, 1970-1974), Tom Baker (4. Doctor, 1974-1981), Peter Davison (5. Doctor, 1981-1984),  Colin Baker (6. Doctor, 1984-1986), Sylvester McCoy (7. Doctor, 1987-1989), Paul McGann (8. Doctor, 1996), Christopher Eccleston (9. Doctor, 2005), David Tennant (10. Doctor, 2005-2010), Matt Smith (11. Doctor, 2010-2013), John Hurt (Kriegsdoktor, 2013)
Produzenten: diverse, Steven Moffat (seit 2015)
Staffeln: 35+
Anzahl der Episoden: 826+


Regeln für Kommentare:

1. Seid nett zueinander.
2. Bleibt beim Thema.
3. Herabwürdigende, verletzende oder respektlose Kommentare werden gelöscht.

SPOILER immer mit Spoilertag: <spoiler>Vader ist Lukes Vater</spoiler>

Beiträge von Spammern und Stänkerern werden gelöscht.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren.
Ein Konto zu erstellen ist einfach und unkompliziert. Hier geht's zur Anmeldung.