Sülters IDIC - Star Trek: Discovery auf dem Weg in die totale Sackgasse

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Sülters IDIC: Star Trek Discovery auf dem Weg in die totale Sackgasse

Erneut verzögert sich der Start der neuen Trek-Serie – und obwohl just der Drehstart erfolgte, gibt es mehr Fragen als Gründe zur Vorfreude. Hat Bryan Fuller dem Team mit seiner eigentümlichen Vision vielleicht gar einen Bärendienst erwiesen? Und wäre ein ganz anderer Ansatz nicht von vornherein die bessere Wahl gewesen? Unser Kolumnist Björn Sülter hat mal nachgedacht.

Bereits bei der ersten Ausgabe von Sülters IDIC im Dezember benutzte ich das Wörtchen „eigentlich“ inflationär oft. Denn eigentlich hätten wir uns in rund drei Monaten und ein paar Tagen über die ersten Abenteuer der USS Discovery freuen und unterhalten sollen. Doch aus diesem schon einmal verschobenen Termin wird nun wieder nichts. Und dieses Mal möchte man sich seitens der Produktion lieber gar nicht mehr auf ein neues Startdatum festlegen. Was ist da los?

Gut Ding will Weile haben?

Nun ja – diese alte Weisheit gilt in vielen Bereichen sicher nach wie vor. Und es ist definitiv ein gutes Zeichen, wenn man sich heutzutage noch die Zeit nimmt, ein Produkt reifen zu lassen. Dass man dabei in Sachen Marketing aber auch ein fast schon desaströses Bild abgibt, ist die andere Sache. Erst schiebt man den Start von auf Januar auf Mai 2017, verliert dann den Hoffnungsträger der Fangemeinde an dessen hoffnungslos selbstverschuldetes Zeitmanagement und musste nun noch ein weiteres Mal eine Aussage zum Start der Serie revidieren.

Nein – mit dem Start der Discovery wird es wohl so schnell nichts werden. Dass sie irgendwann durch die Wohnzimmer fliegt, steht natürlich außer Frage, auf das Wann sollte man aber lieber keine Wetten mehr platzieren. Noch stehen offenbar nicht mal alle Darsteller fest, über die Charaktere weiß man außerhalb des geheimen Produktionszirkels so gut wie nichts und erste Bilder vom Set, den Kostümen oder Requisiten lassen ebenfalls noch auf sich warten - von Einblicken in die Handlung ganz zu Schweigen.

Fullers schräger Ansatz

Vielleicht war die Beteiligung des Querdenkers Fuller am Ende doch nicht der große Segen für die inhaltliche Ausrichtung der Serie. Dieser hatte bereits früh in verschiedenen Bereichen Entscheidungen getroffen, die klar seinen ganz persönlichen Stempel trugen. Dass er dabei auch seinem ureigenen Rhythmus folgte, setzte eine Kette von Verschleppungen in Gang, die bis heute nachhallt. Seine Ideen zudem in den Händen von anderen Autoren und Produzenten zu wissen, birgt in hohem Maße die Gefahr der Verwässerung seiner (eventuell ja wunderbaren) Grundidee und somit vielleicht auch die einer halbherzigen Umsetzung von Dingen, die das aktuelle Team lieber doch irgendwie ganz anders gemacht hätte. Natürlich bewegen wir uns hier im höchst spekulativen Raum, ein Vorgang wie der plötzliche Abgang Fullers ist aber selbst bei einer solchen Produktion keine reine Routine und führt an den Schnittstellen immer zu Reibungsverlusten.

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Raumschiff Enterprise: Szenenbild aus der Episode \"Balance of Terror\"

Doch was wollte Fuller eigentlich für einen Trek auf die Beine stellen? Bis heute gibt es dazu keine konkreten Informationen. So steht seit Monaten schlicht die Aussage im Raum, die Handlung werde zehn Jahre vor der klassischen Trek-Serie ihren Anfang nehmen und somit erneut ein auf wenig Gegenliebe treffendes Prequel zu TOS, TNG, DS9, Voyager und allen Kinofilmen (sogar denen des hier nicht relevanten Reboots) darstellen. Einzig Star Trek: Enterprise bleibt für DSC als zeitlicher Vorgänger erhalten. Die Krux ist, dass man sich damit in Sachen Kulissen und Ausstattung schwer einengt oder eben den Zorn vieler Fans auf sich ziehen dürfte. Und auch thematisch nimmt man sich einen derart festgelegten Raum zur Hand, den zu füllen die Kreativität arg beschneiden müsste.
 
Ausgehend von verschiedenen Informationen (zum Beispiel aus der Episode "The Menagerie“) spielt "The Cage“, der erste Pilotfilm der klassischen Serie, um das Jahr 2254 herum. Rund elf Jahre später begann die erste 5-Jahres-Mission unter Captain Kirk, von der wir drei Jahre innerhalb der Serie zu sehen bekamen (und noch etwas mehr in der Zeichentrickserie die nicht zum Kanon zählt). Nehmen wir also aufgrund von Fullers Aussagen an, dass Star Trek: Discovery rund ein Jahr nach „The Cage“ im Jahre 2255 ihren Anfang nimmt und somit zu einer Zeit spielt, als Captain Pike und Spock noch ihren frommen Dienst an Bord der USS Enterprise NCC-1701 verrichten.
 
Bekannt ist über diese Jahre herzlich wenig, so dass man weitestgehend freies Schussfeld hätte, wenn da nicht noch Jahrhunderte der Vor- und Nachgeschichte wären, an die man sich eigentlich gerne zu halten hätte. Neue oder zeitfremde Alienrassen (man denke an den diskutablen Xindi-Zwischenfall oder das bemühte Auftauchen der Romulaner und Ferengi in Star Trek: Enterprise) müssten und sollten genau überlegt werden. Widersprüche zur Trek-Geschichte sind in einem derart großen Spielfeld an Folgeserien aber kaum zu vermeiden.
 
Bis zum zweiten Pilotfilm der Originalserie „Where no man has gone before“ im Jahre 2265 und den folgenden Jahren der 5-Jahres-Mission (inklusive der Episode „The Menagerie“ im Jahre 2267) wäre in Sachen Historie aber ansonsten nichts Akutes zu beachten. Erst dann müsste man die Geschehnisse der klassischen Serie definitiv mit einbeziehen oder zumindest berücksichtigen.

So erwähnte Fuller vor seinem Abgang explizit die Episode „Balance of Terror“, die in den Classics erstmals die Romulaner zeigte und im Trek-Kanon das Ende der rund 100-jährigen Funkstille nach dem großen Krieg von 2156 bis 2160 markierte, als „touchstone“ für den Story-Arc von DSC. Ob er damit jedoch das generelle Gefühl eines schwelenden Konfliktes oder tatsächlich einen inhaltlichen Bezug meinte, blieb offen. In letzterem Falle könnte in DSC beispielsweise eine verdeckte Mission vorkommen, die auf die Ereignisse in „Balance of Terror“ hinarbeitet – ähnlich dem Ansatz von „Rogue One“. Aber wäre das kreativ oder spannend? Ein wenig drängt sich da ein Gefühl auf wie beim Schauen von Rikers uninspirierter Holophantasie in "These are the Voyages“. Nein - hoffen wir mal auf ein falsches Gleis.

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Szenenbild aus Star Trek: Enterpise \"These Are The Voyages\"

Politisch gesehen liegt der Krieg mit den Romulanern wie erwähnt bereits lange zurück, die Neutrale Zone ist seitdem etabliert, die Föderation wurde 2161 gegründet. Mit den Klingonen befindet man sich im Kalten Krieg, weitere beliebte Spezies des Trek-Kanon (Cardassianer, Bajoraner, Ferengi, Borg) dürften eigentlich keine Rolle spielen. Einzig für die Vulkanier müsste erneut ein Platz zu finden sein.
 
Selbstverständlich ist man nicht gezwungen, die Welt, in der die Serie spielt, in Gänze in die Handlung einzubeziehen. Man kann hier auch durchaus einen Mikrokosmos beleuchten, der das große Ganze nicht wichtiger nimmt als nötig. Es muss keine USS Enterprise vorkommen, und Gastauftritte von Spock und Pike sind keine Pflicht. Auch ist es unnötig, den jungen Kirk oder andere spätere Crewmitglieder zu zeigen oder zu erwähnen. Wie auch in Better Call Saul könnte man den Zuschauern schlicht das Gefühl geben, sich der Spielwiese bewusst zu sein und hier und da kleine Gags für die Fans einbauen – so könnten sich Crewmitglieder über irgendeine Enterprise-Mission unterhalten oder ein weibliches Crewmitglied erzählt von einem aufdringlichen Kadetten, den sie in einer Bar in Iowa kennengelernt hat.

Doch warum dann überhaupt explizit ein Prequel irgendwo inmitten der bekannten Trek-Timeline machen? Solchen Überlegungen widerspricht auch das erneute Casting von Sarek, den man als Spocks Vater bereits aus TOS, den Filmen und sogar TNG kennt und Fullers Kommentar, er würde gerne zu irgendeinem Punkt auch Spocks Mutter Amanda mit einbeziehen. Was hätte das alles für einen Sinn, wenn man nicht zumindest auf einen Auftritt von Spock spekuliert? Allerdings herrscht in der Phase von DSC dem Kanon nach zwischen Sarek und Spock wegen dessen Entscheidung zur Sternenflotte zu gehen, Eiszeit – erst während der Classic-Serie näherten sich die beiden wieder an. Man sieht: Es ist und bleibt äußerst kompliziert mit dem Kanon zu arbeiten – und je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr wünscht man sich Antworten der Autoren, in welche Richtung das Ganze denn nun wirklich gehen soll.

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Star Trek IV: Sarek (Mark Lenard) und Spock (Leonard Nimoy)

Die eine Generation baut die Straße, auf der die nächste fährt

Dieses chinesische Sprichwort hätte Fuller und seinem Team dabei schon früh einen Weg bedeuten können, der neuen Serie einen anderen Dreh zu geben. Zugegeben: Einfach eine weitere Serie zeitlich nach TNG, DS9 und Voyager zu platzieren wäre vielleicht nicht der Kreativität letzter Schluss gewesen, dennoch hätte dieses Modell auch viele Vorteile und Möglichkeiten mit sich gebracht.
 
Erstens hätte man in die Zukunft gerichtet absolut freie Bahn gehabt. Wäre man zum Beispiel zehn Jahre nach Star Trek: Nemesis eingestiegen, hätte sich die politische und gesellschaftliche Struktur außer- und innerhalb der Föderation vollkommen verändert haben können. Neue Aliens, neue Bedrohungen, neue Bündnisse und neue Charaktere hätten einen spannenden Ausblick auf die Zeit nach dem uns bekannten Kanon bieten können.
 
Zudem hätte man die Chance gehabt, die Serie in Sachen technischer Umsetzung so modern und zukunftsfähig wie möglich zu machen. Ein Weiterdenken des Bekannten wäre problemlos machbar gewesen und hätte visuell sicher zu einem tollen Ergebnis geführt - ohne den Kanon zu belasten. Ein neues Schiff wie die Discovery hätte auch hier vorkommen und mit den neuesten Standards ausgerüstet sein können.

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Star Trek: Nemesis - Die USS Enterprise NCC 1701-E

Und noch ein weiterer Aspekt wäre zum Tragen gekommen: Wie bei einer Anthologieserie hätte man Charaktere und Geschehnisse der Vorgängerformate hier und dort in die Handlung einbeziehen können. Wie steht es um Cardassia? Was macht Garak? Was treiben die Klingonen? Sind Riker, Troi und Wesley noch auf der USS Titan? Wer befehligt die Enterprise? Ist Picard inzwischen Admiral? Was ist aus B4 geworden? Was hat die Voyager-Crew nach ihrer Rückkehr so angestellt? Was treibt Seven of Nine? Was wurde aus DS9, Bajor sowie Sisko, Odo und all den anderen? Diese Vielfalt hätte man en passant einfach mitnehmen können. Dabei wäre man nicht einmal darauf angewiesen gewesen, dass jeder Zuschauer jeden Verweis hätte verstehen müssen. Hätte man inhaltlich sauber gearbeitet, wäre ein selbsterklärendes und reichhaltiges Buffet für Fans aller Serien entstanden, das im Kern aber immer noch eine völlig neue Show über eine Crew inmitten einer neuen Zeit hätte sein können. Die eierlegende Wollmilchsau, die es eigentlich doch gar nicht gibt?
 
Doch so wird es nicht kommen. Hätte, hätte, Warpkernkette. Nur Bryan Fuller und seine Mitstreiter-Nachfolger wissen, warum sie diesen Weg nicht gegangen sind und vielleicht auch, ob der ihre nicht sogar der bessere ist. Hoffen wir es zumindest mal.

Sülters letzte Worte

Nur damit das klargestellt ist: Den Preis als größte Unke des Jahres möchte ich mit meinen Zweifeln und Befürchtungen definitiv nicht gewinnen – und ohne Frage kann aus der neuen Serie trotz aller Anlaufschwierigkeiten immer noch etwas Wunderbares werden. Aktuell jedoch wird die Fanszene von so vielen Fragen wie lange nicht mehr umgetrieben. Wohin sollte man inhaltlich gehen? Wie geht man mit dem berüchtigten Kanon um? Sind visuelle Updates gerade noch in Ordnung oder stellen sie per se ein Sakrileg dar? Und was zur Hölle erwartet uns da irgendwann in einer immer ferneren Zukunft denn nun wirklich?

Solange die Produzenten keine Antworten darauf geben, wird dieser Zustand anhalten. Und solange die Serie sich Monat um Monat aus unserem Sichtfeld schiebt, werden die Zweifel nur größer werden. Vielleicht ist es an der Zeit, mit ein paar Fotos vom Dreh und ersten klaren Handlungsinfos mit den Sorgen aufzuräumen und wieder so etwas wie Vorfreude zu entfachen. Die PR-Leute haben sich bislang ja nicht mit Ruhm bekleckert – vielleicht möchten sie sich nun rehabilitieren? Viele Fans hätten sicher nichts dagegen.

Björn Sülter ist als freier Redakteur unter anderem bei Onlinepublikationen wie Quotenmeter, Serienjunkies und auch Robots & Dragons aktiv. Der Autor und Musiker ist Fachmann in Sachen Star Trek. Seit 20 Jahren schreibt er über das langlebige Franchise.

Für Robots & Dragons wird er exklusiv die Entstehung der neuen Trek-Serie mit seiner Kolumne Sülters IDIC begleiten und sobald die Serie startet auch für ausführliche Kritiken zu den Episoden sorgen. Der Name der Kolumne steht stellvertretend für das, was uns Trekkies auszeichnet: Einen offenen Geist zu behalten und die Vielfalt als etwas Wertvolles zu schätzen. Infinite Diversity in Infinite Combinations.

Björns Homepage und somit viele seiner Artikel und Trek-Rezensionen erreicht ihr unter www.sülterssendepause.de
Star Trek: Discovery

Originaltitel: Star Trek: Discovery
Erstaustrahlung 24. September 2017 bei CBS All Access / 25. September 2017 bei Netflix
Darsteller: Sonequa Martin-Green (Michael Burnham), Jason Isaacs (Captain Gabriel Lorca), Michelle Yeoh (Captain Georgiou), Doug Jones (Lt. Saru), Anthony Rapp (Lt. Stamets), Shazad Latif (Lt. Tyler), Maulik Pancholy (Dr. Nambue), Chris Obi (T’Kuvma), Shazad Latif (Kol), Mary Chieffo (L’Rell), Rekha Sharma (Commander Landry), Rainn Wilson (Harry Mudd), James Frain (Sarek)
Produzenten: Gretchen Berg & Aaron Harberts, Alex Kurtzman, Eugene Roddenberry, Trevor Roth, Kirsten Beyer
Entwickelt von: Bryan Fuller & Alex Kurtzman
Staffeln: 4+
Anzahl der Episoden: 42+


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