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Bedrohlich türmt sich die Backsteinfassade des Umspannwerks Reinickendorf in den dunklen Winterhimmel. Es herrscht klirrende Kälte und die großen, leeren Betriebshallen der Industriebrache versprechen nur Schutz vor dem Wind und dem Frost, nicht aber vor dem Biss des Wetters. Winter is here, denkt man sich.
Wie gut, dass die Ausstellung Unseen Westeros im Keller des Umspannwerks beginnt, dort, wo es zwar kühl, aber nicht kalt ist. Und dank der warmen Getränke und der Bewegung von Kunstwerk zu Kunstwerk fällt es leicht, den Frost fernzuhalten. Nicht zuletzt wärmen die Vorstellungen von fernen, fantastischen Länder die Gedanken und schließlich – vielleicht – so ein bisschen – auch die Bilder von feuerspeienden Drachen.
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Unseen Westeros ist eine Ausstellung von mehreren Künstlern, die an den Special Effects der HBO-Serie Game of Thrones mitgearbeitet haben. Allen voran die sogenannten Matte- beziehungsweise Kompositions-Einstellungen gehen auf ihre Arbeit zurück. Am bekanntesten sind wahrscheinlich die Ansichten von Städten wie King's Landing, Winterfell oder Bravos. Initiiert wurde das Ganze von Sven Sauer, der als Künstler selbst an der Serie mitgewirkt hat und die Künstler, die überwiegend aus Deutschland und Europa kommen, mit ihren Bildern in der Ausstellung versammelt hat.
Nachdem im Dezember ein Kickstarter-Projekt gestartet wurde, um die Vernissage zu finanzieren, fand am Mittwoch, dem 23.01., die offizielle Eröffnung statt. Wir von Robots & Dragons durften als Medienpartner daran teilnehmen und können euch unsere Eindrücke schildern.
Inspiration und Freiheit
Die Idee hinter der Ausstellung ist es, die bisher weniger bekannten Orte aus der Welt, die George R. R. Martin in seiner Buchreihe Das Lied von Eis und Feuer geschaffen hat, lebendig zu machen. Anstoß dazu gab der bereits 2014 erschienene Band Westeros – Die Welt von Eis und Feuer, den Autor Martin zusammen mit Elio M. García und Linda Antonsson geschrieben hat, wie Sven Sauer erzählt. Das dazugehörige Audiobuch hat Sven während der Arbeit an den Kompositionsbildern für die Fernsehserie Game of Thrones gehört. Die beschriebenen Orte auf Westeros, Essos und Sothoryos haben ihm viele Inspirationen geliefert. Denn obwohl der Serienproduzent HBO den Künstlern bei der Gestaltung viel Freiheit ließ, "irgendwann entsteht eine Korsage, durch die Sachen, die man selbst erschaffen hat", so Sven. „Da kam ab Staffel 6 wenig Neues dazu und da war das Buch die Möglichkeit, etwas völlig Neues zu machen. Und das ist für die Artists die Gelegenheit, etwas Neues zu erschaffen“, berichtet er weiter. Rund 45 seiner Kollegen hat er gefragt, 40 haben zugesagt, der Rest war zu beschäftigt.
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Herausgekommen sind dabei rund siebzig großformatige Werke von Orten und Ansichten, die im erwähnten Westeros – Die Welt von Eis und Feuer und den anderen Büchern des Fantasy-Zyklus beschrieben werden. Die Ausstellung ist dabei lose nach Kontinenten gegliedert: Sie beginnt im Keller des Umspannwerks mit Essos, inklusive einiger Eindrücke des Auszugs der Ersten Menschen. Dort findet man auch die exotischeren Landschaften, wie die Pagoden von Yi Ti, der Archipel der tausend Inseln sowie die dschungelüberwucherten Ruinen von Valyria. Vorbei an einer kleinen Bar mit Essen und Trinken geht es weiter in den nächsten beiden Stockwerken, deren leere Maschinenhallen die Bilder in den Fokus nehmen. Der erste Stock präsentiert hauptsächlich Westeros, auf dem sich der Großteil der Handlung der Bücher abspielt, der zweite Stock ist dem südlichen, kaum erforschten Kontinent Sothoryos gewidmet.
Irgendwie Fantasy, aber dann doch nicht
Man könnte sich fragen, warum ausgerechnet dieser Ort für Unseen Westeros von – im Grunde genommen – Fantasy-Bildern gewählt wurde. Aber der Gedanke dahinter wird klar, wenn man durch die Hallen schreitet. Denn die fantastischen Orte wirken ähnlich entrückt wie das stillgelegte Kraftwerk und die Gänge im Keller erinnern ein wenig an die Ursprünge vieler Fantasy-Klischees: Das Streifen von kleinen und größeren Heldengruppen durch Keller und Verließe, auf der Suche nach Monstern und ihren Schätzen, halb hoffend, halb fürchtend, am Ende doch noch einem Drachen zu begegnen. Klassisches Dungeons & Dragons, also.
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Von diesen typischen Ideen zehrt auch die Welt von Das Lied von Eis und Feuer, kehrt sie aber teilweise um. "Magie hat einen hohen Preis, man weiß nie, woran man ist", sagt Sven über die Darstellung von Magie in den Büchern von George R. R. Martin. Das macht die Welt seiner Reihe vielleicht glaubwürdiger und deshalb attraktiv für viele Leserinnen und Leser. Diese Glaubwürdigkeit zu vermitteln, ist auch Aufgabe der Künstler und die Herausforderung beim Entwerfen der Bilder und Konzeptionen. Das unterscheidet die ausgestellten Motive von beispielsweise Fanart. "Damit hat man nicht so viele Ausreißer", sagt Sven, "es ist ja nicht Fanart, sondern diese Bilder wurden von professionellen Artist nur für die Ausstellung entwickelt. Die Artists arbeiten teilweise wie ich seit der zweiten Staffel der Serie zusammen, das garantiert eine gewisse Qualität. Die wissen, was in die Welt passt und was nicht". Das spiegelt sich auch in den ausgestellten Kunstwerken, die trotz unterschiedlicher Künstler eine dichte Atmosphäre erzeugen.
Dabei war es nicht einfach, so viele Aussteller unter einen Hut zu bringen. Über drei Jahre hat es gedauert, erinnert sich Sven. Denn die Bilder sind zum größten Teil in der Freizeit der Künstler entstanden, was bei den Arbeitszeiten von 12 oder 14 Stunden in der Filmbranche manchmal schwierig ist. "Im Durchschnitt sitzt man an einem Bild rund zehn Tage, je nachdem, wie groß die Detaildichte ist", schätzt er. Daher möchte er die Bilder auch nicht einfach "einlagern", sondern steht bereits in Verhandlungen mit Ausstellungsorten in Düsseldorf oder Rust. Gerne würde er auch mit den Kunstwerken durch Europa touren, besonders Irland und Island wären interessante Länder – denn dort wurden große Teile der Serie gedreht.
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Lizenzen und ihre Konsequenzen
Dabei soll der Eintritt immer frei bleiben. "Den Tipp hat uns George gegeben", merkt Sven an. Denn Eintritt zu nehmen hätte zu zahlreichen Lizenzfragen mit dem Buchverlag (der die Lizenzen für die Bücher hat) und dem Sender HBO geführt (der die Lizenz für die Serie verwaltet), was Sven und sein Team durch diesen Kniff umgehen. Stattdessen finanziert sich Unseen Westeros einerseits über Spenden, andererseits auch über den Verkauf der Artprints. Das sind gedruckte Versionen der Bilder, limitiert auf 250 Stück pro Bild und von den Künstlern handsigniert. Die gibt es im Rahmen der Ausstellung für den vergleichsweise niedrigen Preis von 15 Euro zu kaufen.
Um das große Interesse an der Ausstellung zu organisieren, müssen sich Besucher auf der Webseite für einen Timeslot anmelden. Viel Platz ist allerdings nicht mehr: "Der Samstag ist komplett ausgebucht, Sonntag haben wir noch etwas frei, alleine an den beiden Tagen haben wir insgesamt 4 500 Leute hier", sagt Sven. Mit dem Erfolg von Unseen Westeros erhöhen sich aber die Chancen, zu einem späteren Zeitpunkt und vielleicht an einem anderen Ort nochmals in die Welt von Das Lied von Eis und Feuer abzutauchen. Denn auch wenn der Winter eingezogen ist: Der Sommer kommt wieder.