Kritik zu Joker - Die Gesellschaft ist schuld, dass ich so bin

Joker

Joker

Vom "enttäuschendsten Film des Jahres" bis hin zum Überraschungserfolg in Venedig - Todd Phillips' Joker hat mittlerweile jedes Stadium der Kritik einmal durchlaufen. Mit Joaquin Phoenix in der Titelrolle soll die neu aufgebaute Origin-Story zu einem der beliebtesten Gegenspieler Batmans an der Kinokasse punkten.

Und die Aufgabe ist groß, denn Phoenix tritt als Nachfolge von Heath Ledger ein schweres Erbe an. Ledgers Performance in The Dark Knight hatte im Jahr 2009 für eine posthume Oscar-Würdigung gesorgt. Auch Phoenix wird bereits als heißer Oscar-Kandidat gehandelt. Joker macht fast alles richtig - und kommt zum passenden Zeitpunkt in die Kinos.

Zur Handlung: Gotham City, hartes Pflaster

Gotham ist Anfang der 1980er Jahre eine sehr kaputte Stadt. Nicht nur sind die Häuser, Plätze und die Infrastruktur ziemlich heruntergekommen, auch der Großteil der Einwohner lebt prekär. Einer von ihnen ist Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), der mit seiner alternden, pflegebedürftigen Mutter (Frances Conroy) zusammenlebt und sich mehr schlecht als recht als Krankenhausclown und anderen mies bezahlten Teilzeitjobs über Wasser hält.

In seiner Freizeit verdingt Fleck sich als eher erfolgloser Stand-Up-Comedian. Wirkliche Freunde hat er nicht. Zum einen scheint im sozial abgekühlten Gotham jeder mit sich selbst beschäftigt, zum anderen leidet er unter einer neurologischen Krankheit, die ihn von seinen Mitmenschen isoliert: Wann immer ihn Gefühle jeglicher Art übermannen, beginnt Fleck, pathologisch zu lachen. Auch weist er deutliche Züge eines Soziopathen auf. Immer wieder gerät Fleck so mit Gangs und betrunkenen Yuppies aneinander, nicht selten arten diese Zusammentreffen in üble Prügeleien aus.

Die attraktive Nachbarin Sophie Dumont (Zazie Beetz) lässt sich davon nicht abschrecken, sondern begleitet Fleck sogar zu seinen Stand-Up-Auftritten. Hier wird er vom großkotzigen Showmaster Murray Franklin (Robert de Niro) entdeckt und in seine TV-Show eingeladen. Doch der Joker, wie sich Fleck nun nennt, hat weit mehr vor, als sein Comedy-Programm zum Besten zu geben ...

Joker_street

Überraschung auf der Leinwand: Todd Phillips macht den Taxi Driver

Mit Joker ist Todd Phillips ein Überraschungserfolg gelungen, der im Kinojahr 2019 seinesgleichen sucht. Der Regisseur, der bisher für eher derbe Slapstick-Komödien wie Road Trip (2000), Old School (2003), Starsky & Hutch (2004) oder die Hangover-Reihe (2009 - 2013) bekannt war, hat aus dem Nichts ein Sozialdrama aufs Tapet gebracht, das genau zum richtigen Zeitpunkt kommt.


Zwar ist die Handlung in den frühen Achtzigern angesiedelt. Die Themen der massiven sozialen Kälte, die der Film zusammen mit seiner deutlichen Kritik am Neoliberalismus, der zermürbenden Arbeitswelt am Existenzminimum, dem Wegschauen der oberen Zehntausend und den schlagzeilensüchtigen Medien darstellt, sind momentan jedoch aktueller denn je.

Gotham erlebt in Joker Wellen von Gewalt und Aufständen des Prekariats gegeneinander, aber auch gegen die wohlhabende Oberschicht der Politik- und Medienwelt. Vergleiche mit Scorseses Taxi Driver (1977) oder King of Comedy (1982) liegen nahe. Der Film erreicht allerdings nicht ganz die Klasse seiner Vorbilder.

Joker_mutter

Gewalt vs. Mutterliebe

Im Kontrast zur minütlich zunehmenden Gewalt in Joker stehen die Szenen, in denen Fleck sich mit kindlicher Naivität um seine Mutter kümmert. Dies ist eine logische Weiterführung von Phoenix' Figur aus A Beautiful Day (2018), wo sich Phoenix als nicht weniger brutaler Auftragskiller anheuern lässt, der zu Hause seine demente Mutter geradezu zärtlich umsorgt. Mit seiner Darstellung des Joker kann Phoenix eine noch dunklere Seite einer ähnlichen Figur mit mehr Extremen ausspielen.

Robert de Niro als Showmaster gibt sich gewohnt glatt und unnahbar und ist eben deshalb eine ausgezeichnete Wahl als Spiegelbild der erbarmungslosen Medienwelt, die schnell in ihren Urteilen ist und keinen Raum für Zwischentöne lässt. Brett Cullen spielt Thomas Wayne, der zum Zeitpunkt der Erzähllinie Bürgermeister von Gotham ist.

Er stellt die Blaupause für selbstsüchtige Politiker recht souverän, aber nicht sonderlich subtil dar. Dabei kommt er dem Joker gerade so nah, dass dieser noch weiter zerbricht. Frances Conroy bleibt hingegen leider als Mutter zu blass, um Eindruck zu hinterlassen. Zazie Beetz jedoch kann nach Deadpool 2 (2018) erneut in einer Nebenrolle glänzen.

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Phoenix, Ledger und der Wahnsinn

Phoenix gelingt es nicht nur in seiner körperlichen Erscheinung (Phoenix ist, ähnlich wie Christian Bale, für seine Vorliebe für Method Acting bekannt und hat sich für die Rolle ganze 25 Kilo heruntergehungert), sondern auch in seiner schauspielerischen Darstellung, den manischen, abgehärmten, verzweifelt-entrückten Fleck zu portraitieren. Dies gelingt fast immer überzeugend, auch wenn in wenigen Augenblicken Ledger als Vorbild für die Figur etwas zu deutlich durchscheinen mag.

Doch bei Ledgers Joker hat dieser sich aus anderen Umständen heraus entwickelt. Bei Nolans Dark Knight erzählt die Figur jedes Mal eine andere Geschichte, wenn es um ihren Werdegang geht. Der Wahnsinn stammt aus ihm selbst und bricht sich nach außen Bahn.

Bei Phillips ist der Schuldige, der den Joker hat entstehen lassen, ganz eindeutig benannt: Die Gesellschaft, rücksichtslose Politik und ein lückenhaftes soziales Netz sind die Faktoren, die Gotham zu dem erbarmungslosen Moloch machen. Diese haben den Joker hervorgebracht, der den Wahnsinn der Stadt nur spiegelt. Denn die Welt, in die Fleck entlassen wird, gibt ihm keinerlei Rückhalt.

Die unvermittelte Brutalität und der schleichende Wahnsinn, der Flecks Alltag immer mehr durchzieht, geben Phoenix' Figur also genug eigenes Material, um als gelungene Interpretation einer kaputten Figur in den Köpfen der Zuschauer zu verbleiben.

Fazit: Erbarmungslos und faszinierend

Todd Phillips' Joker ist beileibe kein Gute-Laune-Popcornkino. Man sollte sich darauf gefasst machen, Joker mit einem durchgehenden Gefühl des Unbehagens zu schauen. Doch hinschauen sollte man: Phoenix macht seine Sache verstörend gut.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Warner Bros.
Originaltitel:
Joker
Kinostart:
10.10.19
Regie:
Todd Phillips
Drehbuch:
Todd Phillips, Scott Silver
Darsteller:
Joaquin Phoenix, Zazie Beetz, Robert De Niro, Frances Conroy, Marc Maron, Brett Cullen, Bill Camp, Glenn Fleshler, Douglas Hodge, Josh Pais
Der Film erforscht die Herkunft von Batmans ärgstem Gegenspieler

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