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Der Horrorautor H. P. Lovecraft ist bekannt für seine schaurigen Erzählungen über Cthulhu und andere kosmische Monster. Viele seiner klassischen Kurzgeschichten wurden bereits vertont. Das Label Contendo Media hat mit The Lovecraft 5 allerdings einen ganz eigenen Weg gefunden, Lovecraft akustisch zum Leben zu erwecken. In den ersten beiden Folgen lauschte der Hörer einer Gruppe von fünf Freunden, die sich jeweils eine Geschichte erzählten. Dabei ist das Werk des Autors innerhalb der Logik der Hörspielserie keine Fiktionen, sondern stellt reale Erlebnisse der jeweiligen berichtenden Figur dar.
Bei vielen der früheren Hörspielumsetzungen von Lovecrafts Geschichten zeigte sich, dass sein Werk für eine getreue Adaption äußerst ungeeignet ist. Die Erzählungen zeichnen sich nicht durch Dialoge aus. Meist gibt es nur einen Protagonisten, der die grauenhaften Ereignisse schildert – und hält man sich daran, gleichen die Ergebnisse eher einem Hörbuch als einem Hörspiel.
"Meine Geschichte kann bis zu den Zigarren warten."
Die Macher der Reihe haben dieses Problem in den ersten beiden Folgen gelöst, in dem sie die Geschichten in die äußerst unterhaltsame und interessante Gesprächsrunde der Freunde Charles, Richard, Edward, Warren und Herbert eingebunden haben. Bei den folgenden beiden Episoden ruhen sie sich nicht auf ihren alten Ideen aus. Die Autorin Julie Hoverson und der Regisseur Christoph Piasecki haben für die Fortführung von The Lovecraft 5 wieder völlig neue Wege beschritten – mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Die Folge "Der Außenseiter" orientiert sich an der gleichnamigen Kurzgeschichte von Lovecraft. Allerdings wird sie komplett anders wiedergegeben. Die Erzählung beginnt mit der Schilderung der einsamen Jugend des Ich-Erzählers in einem düsteren Schloss. Dieser Anfang fehlt im Hörspiel komplett und das aus einem guten Grund: Die Geschichte wird hier aus der gegensätzlichen Perspektive geschildert. Lovecrafts beschreibt den Weg seines Erzählers zur Festgesellschaft. Im Hörspiel hingegen liegt der Fokus auf dem Blickwinkel der feiernden Menschen im Schloss.
Das Hörspiel beginnt mit dem Treffen der Freunde, die diesmal einen Gast in ihrer Runde begrüßen: den Pariser Detektiv Auguste Dupin, Ermittler in den Geschichten Der Doppelmord in der Rue Morgue, Das Geheimnis der Marie Rogêt und Der entwendete Brief von Edgar Allen Poe. Allerdings wird der Gast in "Der Außenseiter" nur als Monsieur Auguste vorgestellt. Er ist allerdings unschwer als der berühmte Pariser Detektiv zu erkennen, gerade weil er im Verlauf des Hörspiels seine kriminalistischen Fähigkeiten beweisen kann.
"Ich dachte, wir wären eine Geheimgesellschaft?"
Dieses Mal ist Richard an der Reihe eine Gruselgeschichte zu erzählen und der Maler berichtet, wie er während einer Einweihungsfeier in einem frisch renovierten Herrenhaus Zeuge eines grauenhaften Vorfalls wurde. Nicht nur, dass das Hörspiel die Perspektive wechselt, es verwendet auch eine gänzlich andere Erzählweise. Da die Freunde schon einmal einen echten Detektiv in ihrer Runde zu Gast haben, beschließt Richard sein Erlebnis auf der Feier den anderen als Rätsel zu präsentieren.
Er schildert seinen Zuhörern die Handlung in groben Zügen. Im Anschluss darf jeder von ihnen nacheinander Fragen stellen, um hinter das Geheimnis zukommen. Diese Herangehensweise lockert die Geschichte ungemein auf. Die dritte Folge von The Lovecraft 5 lebt vor allem von der Interaktion der Protagonisten während der Fragerunden. Es ist lustig und unterhaltsam mit anzuhören, wie die Freunde so manche Frage stellen und Richard ihnen geschickt ausweicht.
Das Hörspiel besitzt das Flair eines klassischen Krimis. Das ist eine schöne Idee, aber auch ein Teil des Problems. Der Gruselfaktor bleibt dieses Mal weitestgehend auf der Strecke. Lovecrafts Vorlage gehört aufgrund seiner Erzählperspektive zu den originelleren Geschichten des Autors und lebt von der surrealen und beklemmenden Atmosphäre. Diese Perspektive wäre aber nur als Hörbuch umzusetzen gewesen – somit ist die Lösung, den dritten Teil als Kriminalfall zu inszenieren, eine gute und originelle Lösung.
"Das ist faszinierend, ich habe von ähnlichen Versuchen mit Ratten gehört."
In "Der Fall des Arthur Jermyn" sind die fünf Freunde wieder unter sich. Aber auch diesmal wählt Warrren als Erzähler der Folge eine ungewohnte Taktik, um seine Geschichte zu präsentieren. Arthur Jermyn ist typisch für H. P. Lovecraft. Es geht um ein geheimnisvolles altes Volk, genealogische Studien und fortschreitenden Wahnsinn. Der Großteil der Erzählung besteht aus der Vorgeschichte der Ahnen von Arthur Jermyn. Um diese lebendig zu berichten, teilt Warren seinen Freunde jeweils einen dieser Vorfahren zu.
Der Reihe nach liest nun jeder die Fakten über das ihm zugeteilte Mitglied der Jermyn-Familie vor. Die Geschichte hält sich trotz der ungewöhnlichen Herangehensweise eng an die Vorlage. Lovecraft ist ein heute umstrittener Schriftsteller, da in seinem Werk oft rassistische Stereotypen auftauchen. Die Geschichte über Arthur Jermyn, die zum Teil in Afrika spielt, ist da keine Ausnahme. Die Hörspielmacher lassen diese Themen nicht einfach aus. Wie schon in den ersten Teilen werden Rassismus, Sexismus und Kolonialismus von den Freunden aufgegriffen und kritisch kommentiert – ohne dabei aufgesetzt zu wirken oder den Hörer aus dem Kontext der Erzählung herauszureißen.
"Es ist amüsant wie die Männer aus diesen epischen Zeiten dazu neigen, die Frauen in Vergessenheit geraten zu lassen."
Sowohl der Rätselkrimi als auch die Vortragspräsentation bietet den Sprechern viel Gelegenheit, um ihr schauspielerisches Talent zu entfalten. In den ersten beiden Folgen von The Lovecraft 5 übernahm immer einer als Erzähler den Großteil der Geschichte. Diesmal gibt es mehr Raum für Interaktion der Figuren untereinander, sodass alle Sprecher ihnen mehr Persönlichkeit und Charakter verleihen können. Alle fünf Sprecher leisten ohne Ausnahme wieder sehr gute Arbeit.
Edward wird von Julian Tennstedt gesprochen, der schon in den Gruselkabinett-Folgen "Die Farbe aus dem All" und "Der Ruf des Cthulhu" Erfahrungen mit H. P. Lovecraft sammeln konnte. Lutz Mackensy·(Erzähler der Hörspielserie Fünf Freunde) leiht Warren seine Stimme. Als Charles ist Uve Teschner (Edgar Allen Poe in der Hörspielserie Die geheimnisvollen Fälle von Edgar Allen Poe und Auguste Dupin) zu hören.
Der Naturwissenschaftler Herbert wird von Markus Pfeiffer (Synchronstimme von Paul Rudd) gespielt. Und Florian Hoffmann·(Synchronsprecher von Ian Somerhalder) legt seinen Richard als arroganter Schnösel an. In den beiden Folgen wirken außerdem Werner Wilkening als Monsieur Auguste sowie Bert Stevens, Tommi Piper·und Jens Wendland·mit.
"Es klang, als würde sich ein Waldbrand ausbreiten."
Da die Protagonisten die meiste Zeit des Hörspiels zusammensitzen und plaudern, gibt es auch selten eine besondere Geräuschkulisse zu hören. Allerdings wird der Hall im Treppenhaus oder das Rascheln von Papier immer wieder überzeugend umgesetzt. Die Musik ist bei den gruseligen Szenen stets im Hintergrund zu hören und unterstützt die Atmosphäre. An dieser Stelle sei auch lobend das Intro der Reihe erwähnt, welches schon beim Vorspann Lust auf das kommende Hörspiel macht.
Die Folge "Der Außenseiter" ist seit dem 13. Dezember in allen gängigen Shops und Portalen als Download verfügbar. "Der Fall des Arthur Jermyn" wird am 17. Januar veröffentlicht. In diesem Frühjahr folgen dann die Episoden "Aus dem Jenseits" und "Das gemiedene Haus".
Fazit
Julie Hoverson und Christoph Piasecki haben sich für die dritte und vierte Folge ihrer Serie The Lovecraft 5 zwei unbekanntere Geschichten von H. P. Lovecraft ausgesucht, welche beide nicht einfach als Hörspiel umzusetzen sind. Das Ergebnis ist ungewöhnlich, voller kreativer Einfälle und gerade deswegen sehr überzeugend. Die Gespräche der fünf Freunde sind wieder sehr unterhaltsam. Schön, dass die Macher nicht einfach ihre Ideen wiederholen, sondern für "Der Außenseiter" und "Der Fall des Arthur Jermy" wieder neue Wege beschreiten – allerdings leidet darunter, gerade in der dritten Folge, die unheimliche Grundstimmung.