Erster Eindruck: Comic-Kritik zu Wytches: Buch 1

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Wytches

Scott Snyder wird wohl vor allem aufgrund seines The-New-52-Batman-Runs auf ewig mit dem Dunklen Ritter assoziiert werden. Eine derart ikonische Figur nach Jahrzehnten ihrer Existenz als Autor so nachhaltig zu prägen, ist allerdings auch wirklich nichts Alltägliches. Die Fledermaus-Geschichten des Amerikaners sind klassisch und dennoch modern, in erster Linie aber enorm durchdacht konzipiert, was insbesondere in der Rückschau auffällt. Zahlreiche vermeintlich zu vernachlässige Details, die es schon sehr früh auf einem Panel zu entdecken gab, stellten sich beispielsweise oftmals im weiteren Verlauf der Handlung noch als sehr bedeutend heraus.

So findet man etwa bereits in relativ niedrigen Heftnummern seiner 2012 als Teil des neuen DC-Universums gestarteten Batman-Serie relevante Hinweise für sein 2017er-Großprojekt Dark Nights: Metal, was besagte Storylines sogar rückwirkend noch aufwertet. Und wenn nun jemand, der das beherrscht, mit einem Male völlig freie Hand hat und von ihm erdachte Figuren von ihm erdachte Herausforderungen meistern lassen darf, kann das doch nur gut werden, oder?

Willkommen in der Welt von Wytches!

Inhalt

Die dreiköpfige Familie Rook zieht in eine neue Stadt, da Sailors Eltern ihre Tochter auf diese Weise aus der Schusslinie nehmen wollten. In ihrer alten Heimat gilt die Teenagerin nämlich vielen fälschlicherweise als Mörderin von Annie, einem Mädchen, das ihr das Leben regelrecht zur Hölle gemacht hat.

Seit diesem verhängnisvollen Tag, an dem die Mobberin spurlos verschwunden ist, gibt insbesondere Charlie Rook alles dafür, um seiner Tochter dabei zu helfen, ihre Ängste und Panikattacken zumindest einigermaßen kontrollieren zu können. Diese waren zwar schon vorher da, sind seit besagtem einschneidenden Erlebnis jedoch noch wesentlich ausgeprägter. Das, was Sailor beschreibt, klingt im ersten Moment wirklich danach, als wäre die Konsultation eines Spezialisten alternativlos. Als sie aber entführt wird und der Vater in ihrem Haus eine unheimliche Begegnung hat, muss er nach und nach erkennen, dass die Worte seines Kindes die reinste Untertreibung waren.

Wytches

Die etwas andere Familie

Wenn man direkt zu Beginn sieht, wie Vater und Tochter miteinander umgehen, muss man die beiden eigentlich umgehend in sein Herz schließen. Charlie hat offenbar eine Vorliebe für hypothetische Weltuntergangsszenarien respektive die Vorbereitung darauf, worum seine Tochter weiß. Sie wiederum muss beim Bau seiner Luftschlösser mitspielen und ihm sagen, wie man auf welche Gefahr am besten reagieren könnte. Dies scheint Sailor tatsächlich zu beruhigen, was sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, dass es Gespräche dieser Art zwischen den beiden schon häufiger gegeben hat.

Sie wirken nicht nur in dieser Situation ungemein vertraut. Und gerade weil dem so ist, fällt es umso mehr auf, dass die im Rollstuhl sitzende Lucy Rook sich gegenüber der 14-Jährigen doch deutlich reservierter verhält als ihr Mann. Mehrere Rückblenden bringen dem Leser diese vom Schicksal gezeichnete Familie noch näher und beinhalten wichtige Informationen, die am Ende dieser 192 Seiten noch kein komplettes, allerdings ein auf viele Fragen der Gegenwart eine Antwort lieferndes Bild ergeben.

Dieses Trio ist somit in zweierlei Hinsicht für die Leserschaft interessant: Zum einen fragt man sich nämlich, wie diese drei Menschen zu denjenigen wurden, die der Rezipient auf den ersten Panels kennenlernt und zum anderen, inwieweit eine übernatürliche Komponente Einfluss darauf hatte.

Dass Snyder von Anfang an sozusagen zweigleisig fährt und lediglich häppchenweise aufschlussreiche Rückblicke und wissenswerte Fakten einstreut, ist eine seiner inhaltlichen Entscheidungen, die man ausdrücklich loben muss. Die zweite ist eindeutig seine Antagonistenwahl.

Die etwas anderen Hexen

Wer beim Lesen des Titels spontan an Zauberstäbe, Warzen, knorrige Finger, Besen, Buckel und schwarze Katzen dachte, sollte sich sehr schnell innerlich von diesem Konzept verabschieden. Das Y in Wytches ist kein Zufall. Es zeigt ganz eindeutig, dass man hier nicht auf klassische Hexen setzen wollte, sorgt für einen einprägsamen Namen und mindert das Verwechslungsrisiko mit anderen fiktionalen Werken.

Diese Wesen wirken zunächst wie eine Bedrohung, die nicht greifbar zu sein scheint. Schon bald ist allen Hauptfiguren jedoch klar, dass es sich um keinen Fiebertraum oder eine Wahnvorstellung, sondern um einen Realität gewordenen Alptraum handelt. Ihre Motive werden genannt, sind aber doch nicht komplett klar, man sieht sie, ist allerdings dennoch kaum in der Lage, sie zu beschreiben, und man weiß um einige ihrer Fähigkeiten, jedoch nicht um alle. Und das Entscheidendste: Man weiß nicht, wie man diese in den Wäldern hausenden Ungeheuer besiegen kann.

Kurz: Scott Snyders Hexen sind schauriger und angsteinflößender als es jede Variante einer bösen Magierin, wie man sie seit frühsten Kindertagen kennt, hätte sein können.

Wytches

Der etwas andere Comic

In diesem Zusammenhang muss zweifellos spätestens jetzt auf die außergewöhnliche Leistung des Zeichners Jock (Mark Simpson) eingegangen werden. Er ist es schließlich, der diesen Kreaturen ein Gesicht gibt, ohne ihnen eins zu geben und gleichzeitig so viel Emotion in das eines Vaters legt, dass man im wahrsten Sinne des Wortes jederzeit mit ihm mitfühlen respektive mitleiden kann.

Der Künstler kreiert ein ungemein düsteres Setting, das durch eine besondere Art der Kolorierung, für die Matt Hollingsworth verantwortlich zeichnet, noch weniger einladend anmutet als ohnehin schon. Diese Optik in Verbindung mit Snyders Vision macht diesen Comic fast schon zu einer Art visuell beeindruckendem Film auf Papier - deswegen ist es auch nur logisch, dass die Filmrechte bereits verkauft wurden.

Fazit

Wytches ist nicht weniger als ganz große Comic-Kunst! Eine Geschichte, die einen berührt, zum Nachdenken anregt und genremäßig irgendwo zwischen Horror, Thriller, Mystery und vielleicht sogar Fantasy eingeordnet werden müsste, aber eigentlich doch etwas vollkommen Neues darstellt.

PS: Dieser Text entstand, bevor der Verfasser das mehrteilige Nachwort, das die hochwertige Hardcoverausgabe enthält, gelesen hat. Wer daran interessiert ist, ein wenig mehr über den Ausnahmeautor und die Entstehungsgeschichte von Wytches zu erfahren, sollte sich diese zum Teil sehr persönlichen Zeilen definitiv noch abschließend zu Gemüte führen.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Image Comics/ Splitter Verlag

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