thanos-infinity-war.jpg
Man wusste, dass Avengers: Infinity War so ziemlich alle Figuren aus dem Marvel Cinematic Universe versammeln wird. Man wusste, dass Thanos der Schurke ist. Und man wusste, dass es irgendwie um die Infinity-Steine gehen wird, weil Thanos große Dinge damit vor hat. Mehr wusste man aber eigentlich nicht über Avengers: Infinity War.
Denn die Marvel Studios fuhren bis kurz vor dem offiziellen Kinostart eine strikte Geheimhaltungspolitik, die vermutlich auch nicht ganz unschuldig daran ist, dass die Erwartungshaltung für den Film gewaltig gestiegen ist - böse Zungen mögen vielleicht auch von einem Hype sprechen, der dadurch entstanden ist. Damit stellt sich für Avengers: Infinity War zwangsläufig die Gretchenfrage, ob der Film die Geheimniskrämerei und den Hype wert ist. Leider lässt sich die interessanteste Frage nicht mit einem klaren Ja beantworten.
Die ersten Reaktionen zum vorläufigen Höhepunkt, auf den das Marvel Cinematic Universe zehn Jahre lang hingearbeitet hat, ließen diesen Umstand mehr oder weniger deutlich herauslesen. So recht wollten einige der US-Journalisten nach der Weltpremiere nicht mit der Sprache herausrücken. Zumal es schwierig ist, eine Kritik zu Avengers: Infinity War zu schreiben, wenn jeder Spoiler umgehend von Thanos bestraft wird. Um es vorab kurz zu sagen: Joe und Anthony Russo, die Regisseure, haben einiges richtig gemacht. Jedoch haben auch sie einige typische Marvel-Stolperer mitgenommen.
Marvel macht ernst. Irgendwie.
Herausfordernd bei der Inszenierung dürfte es gewesen sein, das namhafte Ensemble an den verschiedenen Schauplätzen unter einen Hut zu bekommen und dabei die Eigenschaften der einzelnen Figuren nicht aus den Augen zu verlieren. Da fällt positiv auf, dass die Russo-Brüder Wert darauf gelegt haben, bei jeder Figur den Tonfall aus den Solo-Filmen beizubehalten. So darf Tom Holland als Peter Parker immer noch wie ein kleiner Fanboy wirken oder Chris Hemsworth als Thor als quasi Fortsetzung zu Thor: Tag der Entscheidung zeigen, dass er mehr kann, als seine eh nicht mehr existente blonde Wallemähne über die Schulter zu werfen. Diesbezüglich machen die Russos schon einmal alles richtig: Man fühlt sich mit den einzelnen Figuren sofort wieder vertraut und steigt dadurch problemlos in den Film ein.
Bereits im Trailer macht Gamora (Zoe Saldana) klar, dass Thanos (Josh Brolin) in der Lage sei, das Universum mit einem Fingerschnippen zu vernichten, wenn er im Besitz aller Infinity-Steine ist - und nichts anderes hat Thanos in Avengers: Infinity War schließlich vor. Damit ist deutlich, dass der Film nicht als großes Klassentreffen dienen soll, sondern vielmehr kein Kindergeburtstag ist. Überspitzt gesagt ist es die erste Geschichte, die endlich düstern und mitunter bedrückend erzählt und inszeniert wird. Man hält sich mit der bunten Farbenpracht, die zuletzt in Black Panther zu bestaunen war, zurück und erzählt die Handlung vorrangig in dunklen Bildern. Schnell wird klar: Marvel meint es dieses Mal offensichtlich ernst.
Allerdings wird dann ebenso schnell klar: Marvel kann einfach nicht auf comic relief verzichten. Das funktioniert mal besser, aber auch ebenso mal schlechter. Fast wie gewohnt gibt es einige Witze, die zünden und passend platziert sind; aber ebenso gibt es auch in dieser Geschichte wieder Humor, den die Drehbuchautoren schlichtweg hätten streichen können. Da werden einzelnen Figuren noch Gags auf den Leib geschrieben, die im Kontext einiger Szenen deplatziert wirken und so die Ernsthaftigkeit, die Marvel angestrebt hat, für den Moment (leider mal wieder) zerstören. Erfreulich ist aber immerhin, dass diese Fehltritte im Vergleich zu anderen Filmen zuvor deutlich reduziert sind.
Wenn Alphamännchen auf Alphamännchen trifft
Die Geheimwaffe in Avengers: Infinity War ist jedoch die Dynamik der Figuren untereinander. In all den Filmen, die das Marvel Cinematic Universe in den letzten zehn Jahren präsentiert hat, konnte man mitunter vergessen, dass manche Helden noch gar nicht aufeinander getroffen sind. So ergeben sich neue Teams, von denen jedes eine eigene Grunddynamik hat. Was passiert zum Beispiel, wenn ein selbstbewusster Typ wie Tony Stark (Robert Downey jr.) auf einen ebenso selbstbewussten Typ wie Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) trifft? Noch dazu, wenn beide nicht gerade auf den Kopf gefallen und ein Genie auf ihrem Gebiet sind? Solche Momente sind es, die Avengers: Infinity War klar von dem abheben, was es zuvor zu sehen gab - hier hatte man keine Scheu, einige Verbindungen zu lösen und neue zu erschaffen. Das tut dem Film unglaublich gut und scheint auch den Darsteller Spaß gebracht zu haben.
Gerade Robert Downey jr. ist anzusehen, dass ihm das Zusammenspiel mit Benedict Cumberbatch neue Optionen eröffnet. So benötigen beide Darsteller mitunter nur minimale Mimik, um die Fronten zwischen Stark und Strange zu klären, anstatt sich ein ausschweifendes Wortgefecht zu liefern. Generell hatten die Autoren hier ein gutes Händchen, wenn es darum ging, neue Paare zu bilden. Positiv hieran ist aber vor allem, dass man nicht zwangsläufig alle bestehenden Verbindungen gewaltsam auseinander gerissen hat. So dürfen einige bekannte Pairings aus dramaturgischen Gründen bestehen bleiben - und für die leisen, emotionalen Momente in dem Film sorgen.
doctor-strange-tony-stark-infinity-war.jpg
Gänsehaut in 3 ... 2 ...
Schließlich sollte vorab klar gewesen sein, dass so eine Geschichte, wie sie Avengers: Infinity War erzählt, nicht ganz ohne dramatische Momente zugehen kann. Der Film liefert dann auch erfreulich viele Sequenzen, die gnadenlos unter die Haut gehen und verdeutlichen, was alles auf dem Spiel steht. Gerade das in den Trailern angedeutete Zusammenspiel zwischen Paul Bettany als Vision und Elizabeth Olson als Scarlet Witch erfüllt hier die Erwartungen. Interessant ist aber auch, dass der Film sich traut, denjenigen emotionale Momente zu gewähren, die man für diese Geschichte vielleicht nicht unbedingt auf der Rechnung hatte - und genau deswegen funktionieren diese Szenen mit am besten in diesem Film.
Das Schönste ist jedoch: Endlich gibt es seit langem wieder einen Bösewicht, der seinen Namen zurecht verdient hat! Josh Brolin ist für Thanos die perfekte Besetzung und zeigt einen Schurken mit vielen Facetten, der sich nicht auf ein “Meine Kindheit war doof. Muss Welt vernichten und Rache nehmen” reduziert. Thanos agiert in einigen Momenten so unvorhersehbar, dass es einen als Zuschauer kalt erwischt und für einige Augenblicke sprachlos zurück lässt.
Avanti, avanti, avanti!
Allerdings dauern die sprachlosen Momente in Avengers: Infinity War nie lange an, denn der Film lässt einem nicht wirklich viel Zeit zum Luftholen. Die Russos erzählen die Geschichte um Thanos und die Infinity-Steine temporeich und kurzweilig, man nimmt nicht wirklich wahr, dass die Laufzeit dann doch bei zweieinhalb Stunden liegt. Aber hier lauert auch ein beachtlicher Stolperer, der bereits vorab zu befürchten war. Sämtliche Figuren müssen geschickt verteilt werden und an verschiedenen Plätzen agieren. Das musste nun zwangsläufig dazu führen, dass Avengers: Infinity War mitunter etwas chaotisch wirkt, da die Geschichte zu viel unter einen Hut bringen und zu viel zwischen den einzelnen Handlungen springen muss. Phasenweise kommt das Gefühl auf, dass der Film zwar eine in sich geschlossene Geschichte erzählen möchte, aber eher dazu dient, die Weichen für Avengers 4 zu stellen. Das erfordert die volle Aufmerksamkeit des Publikums - was jedoch auch schnell erschöpfen kann, weil dadurch stetig Input auf den Zuschauer einprasselt.
Immerhin ist es aber optisch schöner Input, der auf einen einprasselt. Die Action-Sequenzen sind üppig an der Zahl, wirken zum Teil wie aus einem Comicbuch entsprungen und sind Marvel-routiniert hervorragend in Szene gesetzt. Gleiches gilt für die Schauplätze, die sich der jeweiligen Stimmung der Geschichte ohne Probleme anpassen. Allerdings gibt es dieses Mal an ein paar Spezialeffekten etwas zu kritteln. Hier hat es den Anschein, als hätte man alle CGI-Macht auf Thanos konzentriert, worunter vor allem die Black Order zu leiden hatte. Ungewohnt billig wirken manche der Effekte, das können die Marvel-Studios definitiv besser. Passend untermalt ist aber die Filmmusik - immerhin hat man hier hörbar auf Altbewährtes zurückgegriffen.
Fazit
Avengers: Infinity War macht vieles richtig, kann aber einige für Marvel so typische Stolperer nicht vermeiden. Dafür erzählt der Film seine Geschichte unterhaltsam und kurzweilig, wenn auch mitunter etwas hektisch. Definitiv ein Highlight im Marvel Cinematic Universe, aber noch nicht das Highlight, das man durch das Marketing vorab kreieren wollte - man darf auf die Fortsetzung im nächsten Jahr gespannt sein.