Kieselstein im Meer – Kritik The Expanse 5.08

SPOILER

Auch wenn dies bei der Produktion wahrscheinlich nicht unbedingt beabsichtigt war, fällt es schwer, nicht an aktuelle globale Gesundheitskrisen zu denken, wenn Clarissa (Nadine Nicole) und Amos (Wes Chatham) die draußen abgelegten Leichen von alten Menschen entdecken. Globale tragische Ereignisse treffen auch in der spekulativen Zukunft zuerst die Schwachen und die Alten. Das scheint zumindest die traurige und zeitlose Wahrheit zu sein, auf die Dan Nowak, Autor dieser Episode, abzielt.

Es ist nur verständlich, dass Erich (Jacob Mundell) an der Welt festhalten möchte, die er sich mit viel Mühe und Not erkämpft hat. In der derzeitigen Krise glaubt er sogar, eine Chance zu erkennen. Er gibt seinen naiven und voller Selbststolz gefassten Plan fast schon zu schnell auf, als er sich ausgerechnet von Clarissa eines Besseren belehren lässt – eine Dame, wohlgemerkt, die er gerade erst kennengelernt hat. An manchen Stellen erscheint es fast so, als würden die verschiedenen Handlungsstränge dieser Staffel zu schnell und an anderen Stellen wiederum zu langsam voranschreiten.

Naomi allein und sprachlos im Weltall

Dominique Tipper hat als Naomi währenddessen eine fast unmögliche Aufgabe zu stemmen: In dieser Episode muss sie glaubhaft unfassbare Schmerzen verkaufen, die ein Weltraumspaziergang ohne Raumanzug wahrscheinlich mit sich bringt (schätzungsweise hat das noch niemand in der Realität ausprobiert). Ferner muss sie dies und ihre eigene Rettungsversuche ganz alleine und ohne Szenenpartner bewältigen. Das macht sie aber außerordentlich gut: Bei jeder Bewegung, die sie vollführt, und bei jeder Luke, die sie mit großer Kraftanstrengung öffnet, sind ihre körperlichen Schmerzen fast spürbar. Das liegt aber zum Teil auch an dem überzeugenden Make-up von Verity Fiction und Brian Hui, die äußerst glaubhaft ein ramponiertes Gesicht und geschwollene Gliedmaßen erschaffen haben.

Bis auf den sich immer wiederholenden Fake-Hilferuf von Naomi, der letztendlich der Free Navy feindlich gesinnte Schiffe anlocken und in die Luft sprengen soll, verläuft die gesamte Sequenz fast wortlos. Nur das eine oder andere verzweifelte “Nein!“ oder “Fuck!“ darf die Darstellerin über die Lippen bringen.

Es ist Regisseurin Marisol Adler und Drehbuchautor Dan Nowak hoch anzurechnen, dass sie der Versuchung, Naomis Handlungen beispielsweise mit einem ungelenken Selbstgespräch zu erklären, widerstehen. Sie versucht etwas, scheitert, dann versucht sie etwas anderes, hat Erfolg, nur um kurze Zeit später wieder zu scheitern – alles, was für die Szenen relevant ist, wird nur in Tippers ausdrucksstarkem und emotional-verzweifeltem Spiel sichtbar. In solchen kleinen unscheinbaren Momenten glänzt die Serie immer wieder und hebt sich von anderen Genre-Vertretern ab, die ihrem Publikum nicht zutrauen, Handlungen nachvollziehen zu können, die dem Show-don’t-tell-Prinzip folgen.

Wassertreten ohne Richtung und Ziel

Während die Naomi-Storyline mit Worten und Erklärungen spart, geschieht auf der Rocinante genau das Gegenteil. Hier scheint es jedoch notwendig, alles Wesentliche noch einmal Revue passieren zu lassen, damit jeder weiß, wer sich wo befindet und was als Nächstes zu tun ist. Allerdings ist dies nicht unbedingt spannend oder herausfordernd für Darsteller oder Zuschauer. Außerdem wird man das Gefühl nicht los, dass die Crew der Rocinante und die Zweier-Besatzung der Razorback, bestehend aus Bobbie Draper (Frankie Adams) und Alex Kamal (Cas Anvar), zumindest momentan lediglich Wasser treten müssen, ohne sich wirklich vorwärts zu bewegen.

Zerbröckelnde Ersatzfamilien

Die Lage um Drummer (Cara Gee) und ihre Crew spitzt sich derweilen weiter zu. Es wird aber ebenfalls klar, welches Schicksal ihr droht, sollte sie sich gegen Marco Inaros (Keon Alexander) und seine sogenannte Free Navy auflehnen. Der kleine Moment der Freude mit dem schwerelosen Wasser am gemeinsamen Essenstisch bildet den emotionalen Kern dieser Episode und wirkt wie ein flüchtiges Überbleibsel, als sie noch ohne zweifelhafte politische Agenda plündern durften. Dieser Moment ist genauso schnell wieder verflogen, wie er gekommen ist. Die Familiendynamik, die Drummer lange gesucht und sich hart erkämpft hat, weist schon wieder erste Risse auf, und es scheint lediglich eine Frage der Zeit zu sein, bis sie vollends auseinander bricht.

Die Serie hat sich weitestgehend erfolgreich bemüht, den Terroristen rund um Marco, seinem Sohn Filip und Cyn ein menschliches und nuanciertes Gesicht zu verleihen. Auf Karal (Olunike Adeliyi) trifft dies leider weniger zu. Während alle anderen die Möglichkeit haben, unterschiedliche Perspektiven einnehmen und emotional-facettenreich agieren dürfen, bleibt ihr nur die undankbare Rolle der loyalen Fanatikerin, die ohne Zögern tötet und gegen alle integriert, die sich der Free Navy in den Weg zu stellen drohen. Das klingt auf dem Papier zwar cool, wirkt hier jedoch recht eindimensional.

Bekannte politische Ränkespiele mit unbekannten Personen

Der neue UN-Generalsekretär David Paster (Sugith Varughese) wirkt bei seiner Ansprache sichtlich nervös, bescheiden und verunsichert. Insbesondere wenn es aber darum geht, den Terroristen die gerechte Strafe zukommen zu lassen, entwickelt er ein gewisses Selbstbewusstsein, als könne man ihm im Echtzeit dabei zusehen, wie er zum ersten Mal auf den Geschmack von wahrer politischer Macht kommt.

So geschieht es dann auch relativ schnell, dass er sich hinter Chrisjens Rücken (Shohreh Aghdashloo) mit Admiral Delgado (Michael Irby) berät, wenn es darum geht, einen Gegenschlag durchzuführen, der das Leben einer nicht unerheblichen Menge an Zivilisten fordern könnte. Letztendlich muss er sich mit den moralisch-ethischen Fragestellungen beschäftigen, denen sich jeder Staatsführer in Zeiten des Terrors stellen muss. Paster scheint aber nicht lange zu zögern und alle Vorbereitungen zu treffen, die auf das Schlimmste hinauslaufen. Auch dieser Handlungsstrang wirkt leider etwas vorhersehbar. Diese politischen Ränkespiele sind schon zu genüge bekannt, und letztendlich bleibt es fraglich, wie viel Spannung und Dramatik diese erzeugen können, zumal zwei der drei hier wichtigen Figuren noch relativ unbekannt sind.

Fazit:

Was sich schon in den letzten Episoden angedeutet hat, wird durch "Kieselstein im Meer“ noch einmal besonders evident: Das Aufsplitten in viele verschiedene, kleine Handlungsbögen gewährt  zahlreichen altbekannte und heißgeliebten sowie neueren Figuren nicht genügend Bewegungsspielraum. Die Folge ist, dass die Zuschauer mal zwei Minuten hier verbringen und mal zehn Minuten dort, ohne dass es möglich ist, wirklich in eine Storyline zu investieren.

Abgesehen von Naomi und Schauspielerin Dominique Tipper, die ihre Sache ganz wunderbar macht, bleibt für alle anderen nicht genügend Zeit. Verständlicherweise ist das auch keine leichte Aufgabe für Drehbuchautoren und Regisseure, so viele Bälle auf einmal zu jonglieren. Dennoch haben Handlung und sogar einige Charakterentwicklungen, die sich nur zentimeterweise fortbewegen, darunter zu leiden.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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