star-trek-discovery-schiff.jpg
Der Damm bricht: Während diverse Handlungsstränge eskalieren, beweist sich die Serie zunehmend wieder als horizontal erzähltes Gesamtkunstwerk über psychologische Abgründe, Verlust und den Umgang mit Schuld und Sühne. Wer darin trotz aller Düsternis kein Star Trek erkennt, ist selber schuld.
Was passiert?
Auf der Discovery ist man sich unsicher, wer Dr. Culber getötet hat. Sogar der verwirrte Stamets wird verdächtigt. Tilly und Saru versuchen, ihn mit Hilfe des Sporennetzwerkes zurück zu holen. Auf der Shenzou muss Burnham derweil weiter die Fassade aufrechterhalten und eine Mission ins Herz der Rebellen anführen. Dabei treffen sie und Tyler nicht nur auf Andorianer und Tellariten, sondern auch auf zwei alte Bekannte ...
Tyler und sein Wok
Im Mittelpunkt der zweigeteilten Handlung steht Burnhams komplexe Situation auf der Mirror-Shenzou. Dass sie sich von Mirror-Saru (der in diesem Universum ein namenloser Sklave ist) waschen lassen muss und ausgerechnet weiterhin in den Armen von Culber-Mörder Tyler Geborgenheit findet, ist bereits ein eindrucksvoller und gefühlvoller Auftakt, der zudem mehr als stilvoll und mit viel Ruhe inszeniert wird.
Die Fragen, die Michael sich angesichts ihrer Situation stellt, definieren viele Aspekte der Serie: Wie kann man sich in einer Extremsituation seine Menschlichkeit erhalten? Wie schwer ist es, Werte aufrecht zu erhalten? Wie gut kann man den Kern dessen verbergen, der einen zu dem macht, wer man ist? Nicht nur T'Kuvma hatte offenbar so seine Sorgen bezüglich eines Identitätsverlustes. Je nach Situation kann das jedem anderen ebenfalls passieren – und Michael ist in dieser Hinsicht mittendrin.
Endlich werden mit ihr im Mittelpunkt auch die Motivationen der Figuren deutlicher veranschaulicht und artikuliert. Als man ihr zum Beispiel Culbers Tod verheimlicht, um sie nicht noch zusätzlich zu belasten, und Burnham selbst Saru nicht sagen mag, dass sein Alter Ego es in diesem Universum sehr schlecht hat. Hier erkennen wir unsichtbare Bande zwischen den Kollegen und fühlen mit ihnen. Gut so!
Während Burnham in ihrer Rolle als rücksichtsloser Captain inzwischen angekommen ist und alle überzeugt, stellt ihr neuer Auftrag sie vor eine ganz andere Herausforderung. Da sie die Tötung der Rebellen um jeden Preis verhindern will, begibt sie sich mit Tyler in die Höhle der Löwen, um eine Allianz zu schmieden. Ihr Plan: Erst auf die Basis zu schießen und somit den Schein zu wahren, wenn alle Rebellen erfolgreich und heimlich evakuiert worden sind. Eine Trek-Variante von "Der Todesstern wird in 5 Minuten in Schussweite sein" also.
Ob ihr Hintergedanke dabei allerdings wirklich so viel Sinn macht, oder eigentlich nur übermäßig naiv ist, will ich mal dahingestellt lassen. Nur weil Voq mit den Vulkaniern, Andorianern und Tellariten erfolgreich zusammenarbeitet, muss darin schließlich kein Schlüssel für die kulturellen Probleme ihres eigenen Universums liegen. Eine Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein führte schließlich auch nicht zu erfolgreichen Verhandlungen auf Bundesebene. Burnham vergleicht hier Äpfel mit Birnen und gibt sich einer viel zu simplen Sichtweise (oder Hoffnung) hin. Wenig überraschend führt dieses hübsche Ansinnen dann auch final zu nichts. Dass sie den Ansatz allerdings zwingend als Katalysator für ihren Plan benötigt hat, ist somit die einzige größere Schwäche im Drehbuch und gibt minimalen Punktabzug.
Ihr gefährliches Doppelspiel bringt uns dafür aber ein Wiedersehen mit den Alternativ-Versionen von Sarek und Voq sowie mit beliebten Spezies aus dem Trek-Kanon – und setzt ein Ausrufezeichen und einen Endpunkt hinter die Theorien rund um Ash Tyler. Auch wenn einige Hinweise zu Beginn der Serie zu offensichtlich und unbeholfen waren, gelingt die finale Umsetzung grandios. Tyler steht sich selbst gegenüber und setzt so die letzten Puzzleteile zusammen. Neben diesem visuellen Trigger findet das Drehbuch jedoch noch eine Meta-Ebene, die erstaunlich gut herausgearbeitet wird und Sinn macht. T'Kuvma hatte Angst vor der Durchmischung der stolzen Klingonenkultur mit schwachen Spezies wie den Menschen, Andorianern, Vulkaniern und Tellariten. Dieses „Remain Klingon"-Credo hat Tyler-Voq aufgesogen. Er lebt es geradezu. Hier nun trifft er - der Fackelträger - auf eine Situation, in der sein Ebenbild - der Feuerwolf - an der Seite der schwachen Spezies kämpft. Weil er somit sein in seinen Augen schwaches Ebenbild nicht erträgt, dringen die letzten Erinnerungsfetzen in sein Bewusstsein, und er geht auf Mirror-Voq los. Dem Klingonen, der ein Mensch werden musste, ist sein vollkommen klingonisches Ebenbild nicht mehr gut genug und zu vermenschlicht. Eine sehr gelungene Metapher, die zudem gut ausgespielt wird. Welche Rolle wohl T'Kuvma auf dieser Seite hatte?
Man sollte noch festhalten, dass die Produzenten sich durchaus viel Mühe gegeben haben, die Tyler-Geschichte zu verschleiern. Sie erstellten sogar ein falsches Profil bei der Internet Movie Database und dachten sich den Schauspieler Javid Iqbal aus, obwohl Shazad Latif von Beginn an Voq und Tyler gespielt hatte. Für Fans, die nicht alles im Internet lesen und an all den Diskussionen teilnehmen, sondern nur die Serie auf sich wirken lassen, wird die Überraschung definitiv deutlich größer gewesen sein. Hier wurde eine Schläfer-Geschichte konsequent bis zum - aktuell - bitteren Ende durchgezogen. Dafür sollte es Lob geben.
Einen Punkt für Cleverness gibt es auch noch für Burnhams Plan, die benötigen Daten über die Defiant mit Tyler zusammen ins All zu beamen - wo die Discovery sich aber gerade befindet, und wie Saru und der Rest der Crew Tyler-Voq dann so schnell retten können, fällt unter "sprechen wir lieber nicht drüber". Das gleiche gilt für die Frage, ob Burnhams Kollegen den zweiten Beamvorgang nicht mitbekommen müssten. Schwamm drüber. Beim Drehbuch handelt es sich ohne Probleme um die beste Arbeit der Staffel. Es darf sich diese minimalen Schwächen erlauben.
Dass der Todesstern dann am Ende in Form des Schiffes der Imperatorin Georgiou (das ziemlich sicher die USS Defiant ist) allerdings doch noch rechtzeitig in Schussweite kommt und die Rebellenbasis vernichtet, bevor alle evakuiert werden können, ist nicht nur für Burnham, die Voq und seinen Leuten schließlich ihr Wort gegeben hatte, ein Schock.
Paul trifft Paul
Auf der Discovery erleben wir neben all der Kriegstreiberei und dem Versteckspiel seitens der Shenzou-Crew die andere Seite der Serie, als Tilly (die hier zum ersten Mal ausschließlich ernsthaft und kompetent sein darf) mit Saru nach einer Lösung für Stamets Zustand sucht. Schade ist, dass der Kelpianer - als geborener Angsthase - das Experiment in einem kritischen Moment beendet und Tilly nicht vertraut. Dass sie in letzter Instanz jedoch Recht gehabt haben könnte, dürfte ihn vielleicht noch für die Zukunft überzeugen.
In diesem Zusammenhang liefert die Episode viele gelungene Dialogsequenzen zwischen Saru und Tilly, die besonders den Ersten Offizier endlich wieder einmal in den Mittelpunkt stellen und überzeugend präsentieren.
Am Ende ist Stamets - entgegen dem ersten Eindruck - dann offenbar doch nicht tot. Alles andere wäre nebenbei bemerkt auch wirklich unschön gewesen, da man uns bei aller Liebe nicht ständig eine liebgewonnene Figur entwenden kann. Stamets muss leben! Am besten mit Culber. Vielleicht findet er ja eine Lösung im Netzwerk? Dort trifft er in jedem Fall erstmal auf sich selber. Oder den Mirror-Stamets? Es bleibt spannend.
Lorca grinst
Lorca versichert Burnham an einer Stelle, dass sie - nach Tylers Demaskierung - nicht alleine auf dieser schwierigen Mission sei. Wird er somit zum nächsten Mann in ihrem Leben, der ein falsches Spiel mit ihr spielt? Sollte sich meine Theorie mit dem Spiegeluniversum bestätigen, steht Michael auch hier nämlich noch ein dicker Schock bevor.
Bis zur letzten Sekunde gibt es für diese Idee jedoch keine neuen Indizien. Doch dann rutscht dem guten Mann ein dämonisches Lächeln heraus, als er Imperatorin Georgiou als Holo-Übertragung sieht und mitbekommt, welchen Einfluss sie immer noch auf Burnham hat. Jason Isaacs spielt diesen Moment übrigens wunderbar dezent, aber umso wirkungsvoller.
Und noch ein Gedanke zu Lorca: Auch seine Kammer an Bord der Discovery mit den ganzen Artefakten macht in diesem Zusammenhang Sinn, wenn man sie als Vorbereitung auf seine Rückkehr an die alte Wirkungsstätte sieht. Schauen wir mal, was der Captain noch so in der Hinterhand hat.
Einige Beobachtungen
Der Teaser - auf den man im Verlauf der Staffel bereits einige Male verzichtet hatte - läuft diesmal rund fünfzehn Minuten und begeistert mit einer tollen Inszenierung, geschliffenen Dialogen und hoch gehaltener Spannung. Hier zahlt sich auch die Laufzeit der Episode insgesamt aus, die mit knapp unter 50 Minuten genug Raum bietet und dennoch nicht langweilt.
James Frain darf einen Sarek mit Bart in bester Spock-Tradition spielen und dabei als Prophet von Mirror-Voq Burnham den Hals retten. Frain liefert hier in einer nur kurzen Sequenz eine spannende Figur, deren Innenleben und Motive reichhaltig wirken.
Technisch betrachtet
Erneut liefert die Serie eine technisch beeindruckende Vorstellung ab, wobei besonders die spannenden und kreativen Kamerafahrten von den Sets der Discovery und Shenzou viel Spaß machen. Auch mit dem Planentendesign und dem Beamen der Todeskandidaten ins All ließ man sich nicht lumpen und erzeugte eine überzeugende Szenerie für das Rebellenlager.
Die Überarbeitung der Andorianer und Tellariten wird sicher erneut für Diskussionen sorgen, ist aber weniger brutal ausgefallen als bei den Klingonen. Mit ihren beweglichen Antennen und nur dezenten Ergänzungen im Gesicht gehen die blauen Freunde fast als minimale Weiterentwicklung zu Star Trek: Enterprise durch. Die Tellariten erhielten da schon eine Kelle mehr Überarbeitung und besitzen den Charme von Star Wars, wissen dabei aber ebenfalls zu gefallen. Gute Arbeit!
Schauspielerisch ereilt das größte Lob erneut Shazad Latif, der Voq im Tylerpelz furios zum Leben erweckt. Aber auch Sonequa Martin Green zeigt ihre bisher beste Leistung, wenngleich man hier immer lieber die Originalversion schauen sollte, da die Synchronisation das Spiel der Mimin doch gelegentlich etwas herunterzieht.
Das Drehbuch stammt erneut von einer Newcomerin. Lisa Randolph zieht mit ihrer ersten Arbeit für die Serie ein dichtes, ereignis- und kenntnisreiches Skript aus dem Ärmel, das keine großen Schwächen offenbart.
Regie führte mit TJ Scott ebenfalls ein Neuling bei der Serie, jedoch ein Veteran im Business. Er ist bisher vor allem für seine Arbeit an Orphan Black bekannt und liefert hier eine wunderbare Arbeit ab, die der von Jonathan Frakes vergangene Woche in nichts nachsteht.
Die Frau des Rezensenten
Für sie ganz klar ein Highlight der Staffel, wobei sie die vielen Nebelkerzen und Wendungen, das Doppelspiel und das Umdenken, wer wann wo mit wem und wieso in welchem Universum auch nicht ganz einfach findet. Burnhams Idee, mit Informationen der Rebellen Frieden in ihrem Universum zu stiften, findet sie übrigens im Gegensatz zu ihrem Ehemann logisch nachvollziehbar und schlau. Ein Männer/Frauen-Ding vielleicht?
Gib dem Kind einen Namen
The Wolf Inside: Gut, das war nun keine allzu große Überraschung mehr. Wer den Tyler/Voq-Kniff im Vorfeld geahnt hatte, erwartete in dieser Episode dank des Titels geradezu eine finale Enthüllung in dieser Causa. Passend ist der Titel selbstverständlich dennoch, wird Mirror-Voq doch schließlich „Feuerwolf" genannt und steckt zudem tief im sympathischen Tyler.
Fazit
Respekt: Die bisher beste Episode der Serie bringt viele Handlungsstränge mit hoher emotionaler Intensität voran, leuchtet tief in die geschundenen Seelen der Protagonisten hinein, bleibt dabei auch aufgrund der herausragenden Leistungen des Ensembles immer mitreißend und fühlt sich gleichzeitig eigenständig wie aber auch nach einem überlangen Teaser für die weitere Entwicklung der Staffel an. Dass die Serie dafür allerdings ins Spiegeluniversum reisen musste, darf man durchaus als irritierend empfinden. Dennoch: Das Gezeigte macht richtig Laune!
Bewertung: 4.5 von 5 Sterne