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Im irgendwie mittelalterlichen China lebt Mulan (Liu Yifei) mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester. Als der chinesische Kaiser (Jet Li) Rekruten für einen Feldzug gegen plündernde Reiternomaden einzieht, soll auch Mulans Vater in die Armee. Für ihn würde dies jedoch den sicheren Tod bedeuten, schließlich ist er zum Gehen auf einen Stock und eine Manschette angewiesen. So fasst die junge Frau Mulan den Entschluss, sich als Mann namens Jun zu verkleiden und in den Krieg zu ziehen. Im Armeelager wird es zunehmend schwer, die Geheimidentität aufrechtzuerhalten, und Mulan muss sich entscheiden, ob ihre persönliche Ehre wichtiger ist als die Ehre der Familie.
Animationsfilme zu produzieren, ist extrem aufwändig: Ein regelrechtes Heer an Zeichnerinnen und Zeichnern muss die Bewegungen der Charaktere aufs Papier bringen, die Zeichnungen müssen koloriert und abfotografiert werden, und es darf kaum überflüssige Szenen geben – zu teuer wäre es, die Arbeit nicht zu nutzen. Vielleicht ist es heute viel einfacher (und günstiger), Dinge am Computer zu animieren, anstatt viele umfangreiche Kulissen zu bauen. Vielleicht traut sich Disney momentan auch weniger, neues Material zu entwickeln und setzt lieber auf eine sichere Nostalgie-Nummer, um Geld zu machen.
Woran es auch liegen mag: Der riesige Medienkonzern bringt regelmäßig Neuauflagen seiner Zeichentrickfilme heraus, angefangen mit einer Realverfilmung von Das Dschungelbuch aus dem Jahr 1994, richtig an Fahrt hat dieser Prozess aber wohl erst mit der Dschungelbuch-Version von 2016 gewonnen. Nun, knapp 22 Jahre nach dem Zeichentrick-Original und mit einiger Verspätung durch die Covid-19-Pandemie, erscheint Mulan im eigenen Streaming-Portal Disney+ des Medienriesens.
Ohne Otto, aber mit Vogel
Im Wesentlichen wird die Geschichte des Originals erzählt, allerdings fehlt der kleine, in der deutschen Synchron-Fassung von Otto Waalkes gesprochene Drache Mushu, und Mulan verliebt sich auch nicht in ihren Hauptmann Shang, sondern in ihren Armee-Kameraden Chen (Yoson An). Zudem fehlen die Gesangseinlagen, und eine neue Figur namens Xian Lang (Gong Li) tritt auf. Diese ist eine gestaltwandelnde Hexe, die scheinbar dem Reiternomanden-Bösewicht Bori Khan (Jason Scott Lee) dient, aber eigene Pläne verfolgt. Mushu wird übrigens mehr oder weniger ersetzt durch eine Erzählerstimme sowie einen immer wieder auftauchenden Phönix, welcher der Protagonistin den Weg weist.
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Insgesamt hat Disney die Handlung etwas gestrafft und modernisiert sowie action-reicher gestaltet: Mulan kann ihre Martial-Arts-Künste mehrmals unter Beweis stellen, und es kommt zu einer Schlacht zwischen den kaiserlichen Soldaten sowie den Truppen Bori Khans. Die neuen Charaktere erweitern die Handlung um Mulan etwas, allerdings bleiben die Figuren allesamt etwas flach, Mulan ausgenommen. Xian Lang soll durch ihren inneren Konflikt eine Prise mehr weibliche Perspektive und Emanzipation in die Geschichte einbringen, allerdings wird diese Botschaft, sowohl in ihren Gesprächen mit Mulan als auch in den Szenen mit Bori Khan eher mit dem Holzhammer näher gebracht.
Natürlich hat sich der Film auch sehr vom chinesischen Martial-Arts-Kino beeinflussen lassen: Das merkt man an vielen Einstellungen, den Kulissen und den weiten Kamerafahrten über die mitunter fantastisch wirkende Landschaft Chinas. Allerdings wird deutlich, dass Mulan einen Kompromiss zwischen Sehgewohnheiten aus Asien und Amerika schließen soll, und so wirken die genannten Elemente immer etwas gewollt. Sie sind da, weil sie eben da sein müssen.
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Zudem hätten etwas mehr übernatürliche Elemente dem Film vielleicht gut getan. Wie sonst lässt sich erklären, dass Mulan Reiterkunststücke vollbringen kann, ihre Kameraden am Ende alle (bildlich gesprochen) zu Superhelden mutieren und der Kaiser – natürlich – ein Kung-Fu-Großmeister ist? Das wirkt schlussendlich alles ein bisschen albern.
Weniger politisch, mehr Politik
Und schließlich soll die Botschaft des Films nicht unerwähnt bleiben: Mulan wurde nach seinem Erscheinen für seine emanzipatorischen Grundtenor gefeiert, und Hauptmann Shang mauserte sich zu einer Ikone der LGBTQ+-Gemeinschaft -- sein Interesse an Rekrut Jun alias Mulan wurde als Chiffre für Bisexualität gedeutet. Durch die Aufteilung des Charakters findet man letzteren Aspekt nicht mehr wirklich im Film, und was die feministisch angehauchte Botschaft angeht … Nun ja.
Im Prinzip erzählt Mulan eine emanzipatorische Geschichte über eine Frau, welche mehr leistet und mehr kann als die Männer um sie herum. Am Ende aber erlauben es die Autoren ihrer Protagonistin nicht wirklich, eine Belohnung dafür zu bekommen - sie lassen diesen Handlungspunkt schlicht offen. So bleibt dem Film, der den progressiven Geist atmen soll, den Disney seit einigen Jahren vorgibt zu teilen, letztlich die eigene Botschaft im Halse stecken.
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Der (wahrscheinliche) Grund: Eine für ein westlich geprägtes Publikum völlig problemlose Auflösung, dass Mulan natürlich mit ihrem Schwarm Chen zusammenkommt und natürlich einen Platz in der kaiserlichen Garde bekommt, entspräche nicht der Erwartung der zunehmend autoritären chinesischen Regierung unter Xi Jinping – denn Frauen sollen auch im modernen China zuerst bitteschön an die Familie denken, bevor sie ihre eigene Karriere angehen. Das Tragische dabei ist, dass eine grundsätzlich positive Botschaft dem Kommerz und einer damit einer autoritären Regierung geopfert wird. Und nirgendwo wird dies deutlicher als bei Mulan.
Freunde der chinesischen Geschichte könnten übrigens etwas enttäuscht werden: Der Film verordnet sich nicht in der langen Geschichte des Reiches und bildet ein Potpourri aus imperialen Elementen der Kulturgeschichte Chinas. Aber immerhin ist das ganz nett anzusehen.
Fazit:
Wer über die politischen Untertöne hinwegsehen kann oder will, der wird feststellen, dass Disney mit Mulan insgesamt solides Filmhandwerk abgeliefert hat, das über seine Laufzeit unterhalten kann. Wer ohne Mushu und Gesangseinlagen nicht leben mag, sollte vielleicht zuhause bleiben kann sich das Geld für die Streaming-Gebühren sparen.