Nemesis Spiele – Kritik zu The Expanse 5.10

SPOILER

Die letzte Episode dieser Staffel zögert nicht lange und steigt direkt in die Handlung ein. Monika Stuart (Anna Hopkins) hat sich im Laufe der letzten paar Folgen im Hintergrund als eine nützliche Detektivin erwiesen. Die Serie gibt vermeintlich unwichtigen Crewmitgliedern, die nicht am unmittelbaren Geschehen teilhaben, etwas Sinnvolles zu tun. Bevor sie jedoch ihre Ermittlungen fortsetzen kann, wird sie unwirsch von Bull (José Zúñiga) mit einer Hiobsbotschaft eines bevorstehenden Free-Navy- beziehungsweise Gürtler-Angriffs unterbrochen.

Zwischen diesen beiden Figuren und Holden (Steven Strait) entwickelt sich trotz gewisser Spannungen langsam eine stimmige Chemie. Dies ist möglicherweise auch notwendig, denn zumindest Bull und seine Fähigkeiten als Pilot könnten sich in der nächsten Staffel noch als nützlich erweisen. Typisch für Holden ist jedenfalls, sich bereitwillig opfern zu wollen, damit seine Freunde eine bessere Überlebenschance haben. Nebenbei unterbindet er noch Bulls rassistische Gürtler-Kommentare.

Weltraum-Duell mit dramatischen Konsequenzen

Stammregisseur Breck Eisner untermauert die Feuerkraft und die Übermacht der Free Navy vor der finalen Konfrontation noch einmal, indem er die Kamera in einer recht eindrucksvollen Szene von einem Raumschiff zum nächsten springen lässt. Auch wenn es nicht unbedingt leicht fällt, den Überblick zu behalten, gestaltet Eisner die gesamte Sequenz dank der dynamischen Schnitt-Montagen und einer spannungserzeugenden musikalischen Untermalung von Clinton Shorter äußerst mitreißend. All diese Elemente ergeben ein beeindruckendes Weltraum-Duell.

Im Nachhinein lässt sich sicherlich leicht behaupten, dass Camina Drummers (Cara Gee) Entscheidung, den Angriff auf die Rocinante zu sabotieren, vorhersehbar gewesen ist. Allerdings handelte es sich um eine Figur, die stets zwischen mehreren Stühlen saß: Sie fühlte sich immer hin- und hergerissen zwischen dem Gürtler-Volk, ihrer eigenen Besatzung und Holdens Crew beziehungsweise ihrer Freundschaft zu Naomi (Dominique Tipper).

Außerdem befindet sie sich schon seit dem Beginn ihrer Reise auf der Suche nach einer eigenen Identität, einem Zuhause und vielleicht sogar nach einer politischen Ideologie, der sie folgen kann. Diesen Zwiespalt stellte Gee fortwährend gut dar, dass das Ergebnis dieses Duells zumindest für Nicht-Buchleser vielleicht gar nicht so absehbar war. Dass Karal (Olunike Adeliyi) eines relativ unzeremoniellen Todes stirbt, nämlich durch die Hand einer vergleichsweise unerforschten Nebenfigur namens Michio (Vanessa Smythe), kommt dann doch relativ überraschend daher.

Anschließend scheinen sich alle Mitglieder von Caminas Crew bewusst zu sein, dass das gemeinsame Leben dieser kleinen harmonischen Truppe nach dem Angriff ein Ende genommen hat. Wie um diesen Punkt noch einmal zu unterstreichen, wirft Marco Inaros (Keon Alexander) ein ehemaliges Besatzungsmitglied aus der Luftschleuse und schickt Camina die entsprechende Video-Aufzeichnung dieser Macht- und Rache-Demonstration zu. Serge (Wilex Ly) war ebenfalls eine Hintergrundfigur, zu der Zuschauer wahrscheinlich keinerlei Bindung aufgebaut haben. Möglicherweise hat kaum jemand einen zweiten Gedanken an ihn verschwendet, seitdem er im Rahmen des Free-Navy-Austauschprogramms von Caminas zu Marcos Besatzung überwechselte.

Sein Tod wird dem Publikum nicht direkt gezeigt. Die Zuschauer beobachten Drummers Crew, wie sie Serge beim Sterben zusieht. Eine kluge Regie-Entscheidung, denn für das Publikum hat sein Ableben keine große emotionale Bedeutung. Vielmehr wird durch die schmerzhaften und überzeugenden Reaktionen seiner Kameraden wesentlich besser deutlich, dass Drummers Entscheidung, sich gegen Marco zu stellen, einen erheblichen Preis hat.

Rettung in letzter Sekunde

Naomis Geschichte nimmt ebenfalls buchstäblich wieder Schwung auf, als sie ein Triebwerk ihres Raumschiffes/Weltraumgefängnisses aktivieren kann. Die letzten Episoden schilderten durchaus spannend und weitestgehend monolog- und dialogfrei ihre diversen Rettungsversuche. Es wird trotzdem wieder höchste Zeit, dass etwas physische Bewegung ins Spiel kommt.

Ihr gesamter Überlebenskampf kulminiert in ihrem Sprung aus dem Raumschiff – und noch einmal muss an dieser Stelle Clinton Shorters gänsehauterzeugender Score gelobt werden. Das gepaart mit Tippers schauspielerischer Leistung, die Verzweiflung, Resignation, Mut im Angesicht von Todesangst sowie eine Form von Hoffnung auf Rettung ihres eigenen Lebens vermischt, machen diese Szene zum Höhepunkt dieser Episode.

Die subjektive Kameraarbeit von Jeremy Benning trägt ebenfalls ihren Teil dazu bei. Alle Beteiligten, sowohl vor als auch hinter der Kamera, arbeiten auf dem höchsten Niveau. Naomis Rettung erschien sicherlich unvermeidlich. Der Moment, in dem es allerdings geschieht und in dem Bobbie Drapers (Frankie Adams) Stimme hinter ihr zu hören ist, stellt jedoch eine lohnende und bewegende emotionale Katharsis dar, auf die die letzten drei Episoden hingearbeitet haben.

Schließlich kann sich jeder seine eigenen Gedanken zu Cas Anvars Abgang machen. Wer sich diesbezüglich an James S. A. Coreys Twitter-Account richten möchte, muss sich eventuell aber ein beherztes “Geht niemanden etwas an!“ oder “Fuck off!“ gefallen lassen. Die Autoren Daniel Abraham, Ty Franck und Naren Shankar hatten sicherlich keine einfache Aufgabe zu erfüllen. Alex' Ableben hat dementsprechend ein leichtes Poochie-kehrt-zu-seinem-Heimatplaneten-zurück-Feeling (bekannt aus der Simpsons-Episode “Poochie, der Wunderhund“), welches sich wahrscheinlich nicht vermeiden ließ.

Zwar hat sich die Serie immer mit den körperlichen und gesundheitlichen Folgen der Raumfahrt und den damit einhergehenden Belastungen durch die g-Kraft auseinandergesetzt, sein Ende wirkt dennoch etwas unbeholfen. Wie schon zu Beginn dieser Review angedeutet, ist es durchaus vorstellbar, dass Bull beziehungsweise Darsteller José Zúñiga als Ersatz schon für die nächste Staffel in den Startlöchern steht.

Abschiede, Wiedervereinigungen und pathosgeladene Reden

Leider wirkt auch der gesamte Abschluss mit Amos (Wes Chatham) und Erich (Jacob Mundell) etwas verkürzt und antiklimaktisch. Andererseits gibt es zwischen den beiden vermutlich nicht mehr viel zu sagen: Amos hat sein neues Leben gefunden, Erich muss wieder von vorne beginnen – die zerbrochene teure Whiskey-Flasche ist letztendlich ein Symbol dafür, dass alles, was sie einst für wichtig erachtet haben, vielleicht doch nicht so wichtig war … oder es ist nur eine zerbrochene Whiskey-Flasche, die für einen nett-amüsanten Moment sorgt. Dafür gestaltet sich die Wiedervereinigung von Amos und Naomi umso emotionaler und zwischen ihm und Holden umso unterhaltsamer, als er versucht Clarissa Mao (Nadine Nicole) auf das Schiff zu mogeln.

Pathosgeladene, etwas sentimentale Reden lassen sich am Ende einer solchen Staffel vielleicht nicht vermeiden. Aber wenn schon eine solche Rede, dann bitte mit der rauchigen Stimme von Shohreh Aghdashloo. Außerdem wird dem relativ siegessicheren Moment sofort wieder der Wind aus den Segeln genommen. Der Cliffhanger folgt nämlich auf dem Fuße. Zum Schluss bleibt jedoch weiterhin die Frage, ob die 6. Staffel alle Handlungsstränge abschließen wird und Showrunner sowie Autoren die vier noch übrig gebliebenen Bücher zu einer Staffel zusammenfassen sowie gewisse erzählerische Entscheidungen der Vorlage einfach ignorieren werden. Letzteres soll keine Kritik darstellen – Fernsehserien beziehungsweise Adaptionen müssen anderen Regeln gehorchen als ihre Buchvorlagen.

Ein Ausblick auf eine unsichere Zukunft

Admiral Duarte ist zu diesem Zeitpunkt für Nicht-Buchleser noch ein großes Fragezeichen. Generell sollten an dieser Stelle aber weitere Spekulationen vermieden werden, um dieses ungespoilerte Mysterium für Nicht-Leser zu erhalten. Woran die marsianische Fraktion auf dem Planeten jenseits des Ring-Portals arbeitet, scheint jedoch schon ziemlich weit fortgeschritten zu sein.

Das letzte Expanse-Buch erscheint im Oktober, und Produktion für die sechste und vermeintlich letzte Staffel haben bereits begonnen, sodass mit einer Veröffentlichung zumindest der ersten drei Episoden vielleicht schon im Dezember 2021 zu rechnen ist. So bleibt Buchlesern immerhin noch genug Zeit, das letzte Buch zu verschlingen und dann mit bittersüßer Abschiedsmelancholie Vergleiche zur Serienadaption anzustellen – immerhin müssen Fans kein Game-of-Thrones-Szenario befürchten, bei der die Serie den Autor der Buchvorlage überholt.

Fazit:

Insgesamt handelt es sich bei “Nemesis Spiele“ um eine runde Abschluss-Episode, die viele der Handlungsstränge Staffel auf eine spannende und emotionsgeladene Weise zu Ende bringt, auch wenn die gesamte Season oftmals Probleme hatte, den vielen Storylines gerecht zu werden – vielleicht wären ein bis zwei Episoden mehr die Lösung gewesen.

Trotzdem handelte es sich mal wieder um eine thematisch und psychologisch spannende Reise. The Expanse bleibt eine Serie, die weiterhin mit vielen interessanten Bällen jongliert, die von Klassenkampf über Terrorismus und den moralischen Strickfallen bei dessen Bekämpfung bis hin zu psychologischem Missbrauch und letztendlich Zusammenhalt von Freunden und Familie ein reichhaltiges Potpourri bietet, mit der kaum eine andere aktuelle Serie des Genres konkurrieren kann.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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