Das Schiff: Kritik zu Oliver Dörings Science-Fiction-Hörspiel

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In den letzten Jahren hat der Hörspielregisseur Oliver Döring in seinen Phantastischen Geschichten viele klassische Bücher von H. G. Wells oder H. P. Lovecraft adaptiert und seine Versionen jeweils in der Moderne angesiedelt. Bei seinem neuesten Zweiteiler "Das Schiff" ist der Zeitsprung zwischen der Vorlage und dem Hörspiel wesentlich größer. Hauffs Märchen Die Geschichte von dem Gespensterschiff hat Döring weit in die Zukunft katapultiert. Aus dem heimeligen Grusel der Vorlage wird in "Das Schiff" düsterer Weltraumhorror.

Als die drei Freunde Core, Raw und Cosma Ärger mit einer Verbrechergilde bekommen, sind sie gezwungen, von der Raumschiffwerft Lonapor zu fliehen. Während des folgenden Raumgefechts wird ihre Navigationseinheit durch einen Schuss der feindlichen Sternenjäger beschädigt. Um ihr Leben zu retten, wagen die drei einen Sprung ins Ungewisse.

"Da sind nicht viele Sterne."

Die drei Freunde stranden mitten in der Leere des Weltraums. Während ihres Zufallssprungs haben sie den Rand eines Schwarzen Lochs gestreift und wurden auf negative Lichtgeschwindigkeit beschleunigt in die Weite des Universums geschleudert. In ihrer Nähe gibt es kein bekanntes Sonnensystem, geschweige denn einen bewohnten Planeten. Ihre einzige Hoffnung scheint ein durch die Leere treibendes riesiges Raumschiff der Erebos-Klasse zu sein.

Notgedrungen dringen Raw, Cosma und Core in das Schiff ein, um es entweder wieder zum Laufen zu bringen oder Ersatzteile für ihre kaputten Sternenjäger zu finden. Das Schiff scheint seit Jahren verlassen zu sein, bis Cosma von einem gruseligen kleinen Mädchen bedroht wird – und dann meldet sich auch noch das eigensinnige Dialogprogramm Sarah zu Wort.

Der Regisseur, Autor und Produzent Oliver Döring ist in der Hörspielszene mittlerweile wahrlich kein Unbekannter mehr. Seinen Durchbruch hatte er im Jahr 2000 mit seiner Neuauflage John-Sinclair-Serie. Es folgten die Adaptionen verschiedener Star-Wars-Hörspiele sowie diverse eigene Serien wie End of Time und Foster.

Bereits für das Label Folgenreich inszenierte er einige Werke von H. G. Wells (Die Zeitmaschine, Der Krieg der Welten und Das Imperium der Ameisen). Diese Adaption setzte er nun in der Reihe Oliver Dörings Phantastische Geschichten beim Label Imaga fort. Neben Wells ("Der Unsichtbare", "Dr. Moreau") vertonte Döring dort auch verschiedene Geschichten von H. P. Lovecraft ("Berge des Wahnsinns", "From Beyond").

Somit stellt die Bearbeitung von Die Geschichte von dem Gespensterschiff von Wilhelm Hauff innerhalb von Dörings Hörspielreihe etwas Neues dar. Die Erzählung erschien in Hauffs Märchen-Almanach für das Jahr 1826. Wie vom Regisseur gewohnt, inszeniert er das einstige Märchen routiniert und professionell als spannendes Science-Fiction-Spektakel. Das beginnt schon bei der Riege der sehr gut ausgewählten Sprecher.

"Das ist nicht möglich, ich habe andere Menschen gesehen."

In den drei Hauptrollen sind Peter Flechtner (Synchronstimme von Matthew Fox), Marie Bierstedt (Synchronstimme von Kirsten Dunst) und Michael Iwannek (Synchronstimme von Zach Galifianakis) zu hören. Alle drei spielen ihre Rollen sehr gut, ohne dass einer den anderen dabei an die Wand spielt. Ein Punkt, der dazu beiträgt, dass man den drei Sprechern die Freundschaft ihrer Figuren sofort abnimmt.

Nicht unerwähnt soll Esra Meral bleiben, die ihre Stimme dem Dialogprogramm Sarah leiht. Meral ist eine ausgebildete Sprecherin, aber größere Rollen kann sie bisher nicht vorweisen. Dennoch kommt einem ihre Stimme sofort bekannt vor. Ihr gelingt es täuschend echt, die Stimmen von Siri oder Alexa nachzuahmen und wurde damit durch verschiedene TikTok-Videos bekannt. Mit dem Dialogprogramm Sarah hat sie eine der dankbarsten und lustigsten Rollen in "Das Schiff" – jeder ihrer Auftritte ist ein großer Spaß für den Hörer.

"Vielleicht Echos von uns selbst."

Auch die noch so kleinsten Nebenrollen sind mit bekannten Sprecher, unter anderem Tobias Kluckert (Synchronstimme von Bradley Cooper), Santiago Ziesmer (Synchronstimme von Steve Buscemi), Thomas Nero Wolff (Synchronstimme von Hugh Jackman) und Wolfgang Pampel (Synchronstimme von Harrison Ford ), besetzt.

Pampel hat als Erzähler des Hörspiels jedoch nicht viel zu tun. Er muss nur einige kurze Ortsbeschreibungen einsprechen. Die unendlichen Weiten des Weltraums, die futuristische Schiffswerft und das verlassene Raumschiff als Kulisse der Abenteuer müssen sich die Hörer selbst ausmalen – bestens unterstützt durch die sehr gelungenen Soundeffekte.

Auch wenn die Effekte besser klingen als auf klassischen Jan-Tenner-Kassetten, könnte sich der eine oder andere Fan der 80er Jahre Hörspielserie an die Folge "Das Totenschiff" erinnert fühlen. Auch dort erkunden Jan und Laura ein scheinbar verlassenes Raumschiff von gigantischem Ausmaß, welches ihren Silbervogel mit einem Traktorstrahl erfasst hat.

Fans von Science-Fiction-Horror-Filmen könnte auch der Film Event Horizon – Am Rande des Universums aus dem Jahr 1997 als Inspirationsquellen in den Kopf kommen. Aber ein Hörer, der nicht weiß, worauf er sich einlässt, würde sicher nicht an Hauffs Die Geschichte von dem Gespensterschiff denken, so radikal hat Oliver Döring die märchenhafte Vorlage für sein Hörspiel umgestaltet.

"Das kann nicht sein, fast die gesamte Galaxis ist kartografiert."

Von dem Märchen sind nur zwei Grundelemente geblieben: Schiffbrüchige landen auf einem verlassenen Schiff und der Schrecken wiederholt sich in regelmäßigen Zyklen. Die Vorgeschichte, der Grund für die grauenhaften Spukerscheinungen und die Lösung des Problems weichen sehr stark voneinander ab. Döring verzichte in seiner Version auf alles Übersinnliche und findet im Kontext seiner Geschichte eine rationale technische Erklärung – schließlich handelt es sich bei dem Zweiteiler "Das Schiff" um Science Fiction

Diese Konzentration auf diese zwei Elemente der Originalerzählung stellt für das Hörspiel eine Bereicherung dar. Selbst Hörern, welche das Märchen kennen, bietet Dörings Science-Fiction-Variante etwas komplett Neues. Wer eine originalgetreue Umsetzung von Hauffs Märchen hören will, dem sei, wie so oft an dieser Stelle, die Reihe Gruselkabinett (Folge # 171) empfohlen, welche ebenfalls Die Geschichte von dem Gespensterschiff vertonte.

"Ich bin in etwa acht Minuten bei euch. Redet so lange mit mir bitte."

Nun kann man darüber streiten, warum man überhaupt Hauffs Märchen adaptiert, wenn am Ende so wenig von der Originalgeschichte überbleibt. Kann man machen – man kann sich aber auch einfach freuen, dass Oliver Döring ein sehr gelungenes Science-Fiction-Horror-Hörspiel aufgenommen hat. Auf dem Hörspielmarkt sind gute Space Operas, Weltraumhorror und Ähnliches eher selten zu finden.

Wenn man etwas Negatives über die neue Folge von Oliver Dörings Phantastische Geschichten sagen kann, dann, dass es ein wenig zu lang geraten ist. Die Vorgeschichte ist recht ausufernd dafür, dass sie nachher keine Rolle mehr spielt. Und der Beginn der zweiten Folge fühlt sich wie eine Wiederholung des Endes der Vorherigen an – was allerdings im Rahmen der Erzählung wiederum Sinn ergibt und den Hörer in die Gruselzeitschleife mit hineinzieht.

Fazit

Oliver Döring hat aus dem Märchen um das gruselige Gespensterschiff einen Action geladenen Horrorschocker im Weltraum gemacht. Auch wenn dabei viele Elemente von Wilhelm Hauffs Vorlage auf der Strecke bleiben, werden die Leerstellen mit interessanten Science-Fiction-Ideen ausgefüllt. Zudem kann das Hörspiel ohne Ausnahme mit sehr guten Sprechern punkten und wurde von Döring wie gewohnt perfekt in Szene gesetzt.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Imaga

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