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Das Mädchen, das schon am Anfang der letzten Episode zu sehen war, spielt nicht die Rolle, die Buchleser (zumindest der Autor dieses Artikels) vielleicht vermuteten. Vielmehr ist sie die Tochter einer Familie von Kolonisten, die versehentlich einen Vogel getötet hat, indem sie ihm nicht gerade angemessene Nahrung zu fressen gab. Welche Rolle diese Kolonisten im Gesamthandlungsstrang spielen, falls überhaupt eine, will sich an dieser Stelle noch nicht ganz erschließen. Es ist durchaus interessant, diese Seite des bevorstehenden Konflikts aus einer eingeschränkten Bodenperspektive zu zeigen und das Publikum über Motive und Absichten der abtrünnigen Marsianer rund um Duarte weiterhin im Dunkeln zu lassen. Momentan ist dieser Handlungsbogen nicht viel mehr als eine Metapher für Menschen, die sich vielleicht mit guten Absichten in Biotope begeben, in denen sich nicht unbedingt etwas zu suchen haben und immer mehr Schaden anrichten, selbst wenn sie versuchen, zuvor angerichtete Schäden zu reparieren.
Action im Weltall
Als Bobbie Draper (Frankie Adams) für eine superspezielle Mission an Bord der Rocinante kommt, scheint sich die Besatzung zumindest etwas erholt und die extremen Anspannungen der letzten Episode hinter sich gelassen zu haben. Eine lange Verschnaufpause erhalten sie jedoch nicht. Zunächst muss sich Clarissa ‚Peaches‘ Mao (Nadine Nicole) in ihrem Quartier verstecken, schließlich ist sie vor dem Gesetz immer noch eine flüchtige Mörderin. An dieser Stelle fällt bereits auf, dass Holden (Steven Strait) sie mit ihrem Spitznamen anspricht, den sonst nur Amos (Wes Catham) verwendet.
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Zunächst ist aber erst einmal die Mission wichtig: Die Rocinante und ihre Besatzung sollen das Raumschiff Azure Dragon abfangen, kapern und wichtige taktische Daten extrahieren, damit sich die U.N.-Streitkräfte einen taktischen Vorteil gegenüber Marco Inares (Keon Alexander) verschaffen können.
Schon in der ersten Episode wurde deutlich, dass sich Bobbie in ihrer Rolle als Beraterin für Chrisjen Avasarala (Shohreh Aghdashloo) nicht besonders glücklich ist. In dieser Episode ist sie offensichtlich voll in ihrem Element: Während sie die Mission erklärt, strotzt sie nur voller Selbstbewusstsein und Tatendrang. Frankie Adams strahlt die notwendige Autorität problemlos aus. Die Besatzung sträubt sich zwar etwas gegen das gesamte Vorhaben, stimmt dem verrückt wirkenden Plan letztendlich aber widerwillig zu. Bobbies Zielstrebigkeit wird auch nur kurz unterbrochen, als sie erfährt, dass sich die flüchtige Clarissa Mao an Bord befindet.
Der Angriff auf die Azure Dragon stellt die zentrale Actionsequenz dieser Episode dar, und obwohl sie relativ kurz ausfällt, enttäuscht sie nicht. Sie beinhaltet viele sich bewegende Zahnräder und damit sind nicht nur die schwindelerregend rotierenden Raumschiffe und Schießereien gemeint. Zwischendurch gibt es dramatische Streitereien, wahnsinnige Raumschiff-Geschwindigkeiten und Besatzungsmitglieder, die aufgrund der starken G-Kräfte auf äußerst schmerzhafte Weise gegen den Schiffsboden gepresst werden. Dass Bobbie die Einzige ist, die sich dank ihres gepanzerten Kampfanzugs noch relativ mühelos bewegen kann, mutet fast schon wieder komisch an.
Clarissa kann zwischendurch ihre Superkräfte anwenden – wie sie und ihr Gegner nach ihrem äußerst schnellen Angriff starr im schwerelosen Vakuum des Weltalls verharren, lässt sich selten bis gar nicht in Weltraumactionszenen beobachten. Insgesamt eine sehr einfallsreiche Aktionsabfolge, die aber niemals zum Selbstzweck verkommt, sondern stets eine emotionale und charakterliche Erdung aufweist. Da wäre zunächst einmal der Streit über das Kommando des Schiffes zwischen Bobbie und Holden, die unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie sie mit der Mission weiterverfahren sollen, als alles schief zu gehen droht. Naomi (Dominique Tipper) leidet offensichtlich unter einem posttraumatischen Stresssyndrom aufgrund ihres letzten Weltraumspaziergangs, den sie ohne Raumanzug durchführte. Clarissa, die unter anderem versucht, sich zu rehabilitieren und Bestandteil der Crew zu sein, entscheidet sich übereifrig, Naomis Rolle in dem Kaperungsplan zu übernehmen. Es ist erstaunlich, wie viel die Autoren Daniel Abraham, Ty Franck und Mark Fergus sowie Regisseur Jeff Woolnough in diese Szenen neben der Action hineinpacken, ohne dass sie Fahrt verlieren. Zum krönenden Abschluss erhält der Rocinante-Handlungsbogen noch einen netten und befriedigenden emotionalen Moment, als Holden Clarissa wegen ihrer eigenmächtigen Handlungsweise sanft, aber dennoch bestimmt zusammenfaltet und ihr eine einsame Freudenträne die Wange hinunterkullert, weil sie nun endlich ein wirklicher Bestandteil der Besatzung ist.
Schuld und Sühne
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Die anderen Handlungsfäden müssen zwangsläufig dagegen verblassen, handelt es sich schließlich hierbei „lediglich“ um Dialogszenen. Auf der Inares Station schmort Filip (Jasai Chase Owens) in seiner Zelle voller Scham und Schuldgefühle vor sich hin. Sein Vater hilft ihm aus der Patsche, was zwar verständlich, aber von einem Erziehungsstandpunkt aus gesehen, womöglich nicht unbedingt die beste Entscheidung ist. Schließlich benötigen auch erwachsene Kinder Grenzen und müssen Konsequenzen für ihr Fehlverhalten erfahren. Es ist allerdings auch fraglich, ob es unter diesen Terroristen, die für einen Massenanschlag dieser Größenordnung verantwortlich sind, so etwas wie moralische Grenzen gibt, die sie noch überschreiten können. Filips Verhalten stellt für seinen Vater Marco im Moment jedenfalls nicht vielmehr als ein peinliches Ärgernis dar. Filip selbst hat sich zumindest etwas von seiner Menschlichkeit bewahrt und versucht auf äußerst unbeholfene Weise, zumindest der Familie seines getöteten Freundes in irgendeiner Form Trost und Unterstützung zukommen zu lassen.
Rosenfeld Gouliang (Kathleen Robertson) und Marco haben eine interessante Beziehung. Sie ist die einzige Untergebene, die den Mut hat, ihm offen ihre Meinung zu sagen. Marco ist sich anscheinend selbst nicht unbedingt sicher, was er von seinem Sohn erwartet und was er sich für ihn und seine Zukunft wünscht, wenn überhaupt irgendwas. Und bevor er zu einer Erkenntnis kommt, muss er sich schon wieder kriegerischen Taktiken widmen. The Expanse spart sich eine einfache Psychologisierung seiner Schurken. Marco mag zwar ein selbstverliebter Schaumschläger sein, bringt seinem Sohn aber auch irgendeine Form von Liebe entgegen, auch wenn er diese nicht ausdrücken kann. Als er vom Angriff auf die Azure Dragon erfährt, wirkt er sogar zum ersten Mal verunsichert, wenn nicht sogar besorgt und verängstigt. Emotionen, die er sofort in Entschlossenheit umzusetzen versucht.
Neue Verbündete
Camina Drummer sucht unterdessen ein sicheres und zumindest vorübergehendes Zuhause für Michio (Vanessa Smythe). Dieses könnte eventuell der Gürtler-Schmuggler Liang Walker (Mikael Conde) bieten, auch wenn sie diesem nicht wirklich traut. Bei Liang handelt es sich wohl um ein Mitglied einer anderen Gürtler-Fraktion, die Marco nicht unbedingt mag oder respektiert und eher zähneknirschend mit ihm arbeiten. Camina versucht, dieses gegenseitige Misstrauen und Respektlosigkeit für sich zu nutzen und hat bereits ein Angriffsziel vor Augen. Diese Szenen haben nicht unbedingt viel Fleisch auf den Rippen, aber Liang Walker kann zumindest amüsieren und sie zeigen auf simple, aber effektive Weise, dass nicht alle Gürtler hundertprozentig hinter Marcos Agenda stehen.
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Chrisjen Avasarala (Shohreh Aghdashloo) befindet sich dagegen auf einem Rachefeldzug und Machttrip, konsultiert ihre Berater bei wichtigen Entscheidungen nicht mehr und droht Journalistin Monika Stuart (Anna Hopkins) mit der Entziehung ihrer Presse-Akkreditierung. Selbst wenn sie sich bewusst ist, dass die Menschen in ihrer Umgebung immer frustrierter werden, scheint es Chrisjen nicht zu stören. Ähnlich wie Bobbie Draper geht es ihr vorrangig darum, zielstrebig ihre Mission zu erfüllen, Berater und Pressefreiheit halten dagegen nur auf. Trotzdem ist sie sich bewusst, dass es vollkommen ohne öffentliche Unterstützung doch nicht geht. Entsprechend rekrutiert sie die eben noch geschasste Journalistin, um für sie die Herzen der Massen zu gewinnen. Shohreh Aghdashloo bekommt ebenfalls nicht viel zu tun, es ist aber immer nett, ihr beim politischen Plotten zuzusehen.
Fazit:
Ein spannender Weltraumkampf stellt das Highlight dieser zweiten Episode dar. Die ruhigeren Momente überzeugen emotional und lassen die Geschichte effektiv voranschreiten. Eine finale Konfrontation zwischen Marco und den UN-Streitkräften sowie einigen Gürtlerfraktionen liegt wahrscheinlich nicht mehr in weiter Ferne. Was danach kommt, insbesondere in Bezug auf Duarte und der noch unbekannten außerirdischen Macht, lässt sich weiterhin schwer absehen.