Retro-Kiste: Vier Weltkriege später - A Boy and his Dog

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A Boy and his Dog Movie Still

In diesem Jahr starb einer der bekanntesten US-amerikanischen Sci-Fi-Autoren: Harlan Ellison. Am bekanntesten ist er für seine kurze Mitarbeit an der klassischen Star-Trek-Serie sowie zahlreiche Kurzgeschichten wie "Ich muss schreien und habe keinen Mund" (im Original: "I have no mouth and I must scream"). Schlagzeilen machte er unter anderem auch mit seiner Plagiatsklage gegenüber James Cameron. Ellison behauptete, seine Drehbücher für zwei Folgen der US-Serie The Outer Limits (die bereits in den 1960ern in den USA lief) wären die Grundlage für Camerons Handlung in Terminator. Die beiden einigten sich außergerichtlich und spätere Veröffentlichungen von Terminator enthalten Hinweise auf Ellisons Arbeiten.

Ellison galt für seine Zeitgenossen als charakterlich schwierig, besonders wenn es um Adaptionen seiner Werke ging. Für eine Verfilmung der Kurzgeschichte I, Robot von Isaac Asimov verfasste Ellison ein Drehbuch, das aber nie realisiert wurde, weil der Studiochef und er nicht überein kamen. Gleichzeitig setzte sich der Autor aber mit Nachdruck für eine freie Presse, das Ende der Zensur und eine Anerkennung von Künstlern ein.

Ein Schauspieler, der Regie führt

Kein Wunder, dass Schauspieler und Teilzeit-Regisseur L. Q. Jones die Hosen gestrichen voll hatte, als er eine von Ellisons Kurzgeschichten als Film adaptieren wollte. Jones wurde eines Tages Ellisons post-apokalyptische Story "A Boy and his Dog" auf den Schreibtisch gelegt, und nachdem er sie gelesen hatte, wollte Jones sie als Film umsetzen. Dazu kontaktierte er Ellison, aber der hatte kaum Zeit. Nachdem die Rechtesituation geklärt war, schrieb Jones das Drehbuch und kümmerte sich dann um die Realisierung des 1975 erschienen Films.

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A Boy and his Dog Movie Still

Angesichts eines knappen Budgets von geschätzten 400.000 US-Dollar gestaltete sich die Produktion schwierig. A Boy and his Dog spielt in der post-apokalyptischen Zukunft: Innerhalb von fünf Tagen während des Vierten Weltkrieges wurde die Erde in ein atomares Inferno gehüllt und die Menschheit überlebt nun, im Jahr 2024, in Erdlöchern in einer Wüste. Es herrscht Mangel an allem: Wasser, Nahrung, Anstand, Menschlichkeit, Bildung und vor allem – Frauen. Der junge Mann Vic, aufgewachsen ohne Eltern und Moral, ist ständig auf der Suche nach einer Frau, an der er sich vergehen kann. Dabei hilft ihm Blood, ein telepathisch begabter Hund, der zwar kein Essen riechen kann, dafür aber Weibchen. So bilden die beiden eine ungleiche Symbiose. Denn wo es Vic an Bildung mangelt, hat Blood genug davon und gefällt sich als Lehrer wider Willen des Jungen. Zusammen begeben sich die beiden auf die Suche nach Nahrung und Fortpflanzungsmöglichkeiten.

Sie begegnen dabei einer Gruppe Menschen, die den Krieg in einem unterirdischen Bunker, komplett mit Parks, Schulen und einer städtischen Infrastruktur, überlebt hat und einen jungen, zeugungsfähigen Mann wie Vic für ihre Fortpflanzung brauchen. Da die aber ohne den physischen Akt stattfinden soll und Vic, so denn er leer gepumpt wurde, ein eher unrühmliches Schicksal droht, wirft er sein Engagement als menschlicher Zuchthengst hin und flieht zusammen mit der listigen jungen Frau Quilla aus dem Bunker.

Zynismus nach dem Weltuntergang

Nicht nur die Handlung macht den zynischen Unterton des Films klar: Es fängt schon in der Eröffnung an. Dort explodieren Bomben und eine Schrift gibt einen Abriss der Post-Apokalypse. Der letzte Satz lautet: Innerhalb von fünf Tagen hat die Politik den "Verfall der Innenstädte" aufgehalten. Angesichts der Millionen Toten des Atomkrieges eine bewusst zynische Formulierung, auch vor dem Hintergrund des Jahres 1975 – Mitten im Kalten Krieg. Aber es ist gerade die zynische Grundhaltung, der schwarze Humor des Films und nicht zuletzt die teilweise absurde Fixierung Vics auf seinen Sextrieb, welche die Geschichte einzigartig machen.

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A Boy and his Dog Movie Still

A Boy and his Dog war für alle Beteiligten ein Herzensprojekt, allen voran Regisseur L. Q. Jones. Der ist eigentlich Schauspieler und vor allem aus zahlreichen Nebenrollen bekannt (IMDB zählt 163 Auftritte in Filmen). Aber er hatte auch eine kleine Filmproduktionsfirma, mit der er hin und wieder kleine Projekte realisierte. A Boy and his Dog sollte das Bekannteste dieser Projekte werden. Als der Film aber in den Kinos anlief, stieß er auf gemischte Reaktionen. Verschiedene Kritiker lobten entweder den subversiven Humor des Films oder zerrissen die in ihren Augen primitiven Charaktere und die nihilistische Botschaft. Der in Amerika anerkannte Filmkritiker Roger Ebert nannte den Film "seltsam" und prophezeite ihm "eine Art kultigen Erfolg". Das sollte sich bewahrheiten: Zwar blieb A Boy and his Dog der kurzlebige Erfolg an den Kinokassen verwehrt, aber er bildete die Inspiration für zahlreiche andere, vor allem post-apokalyptische Werke.

Und er entwickelte sich tatsächlich als Geheimtipp. In einem lesenswerten Interview aus dem Jahr 2003 mit dem Regisseur L. Q. Jones behauptet dieser, der Film beziehungsweise seine Kopien seien seit dem Erscheinen ständig im Verleih und der Film würde jeden Tag gezeigt werden. Mit Sicherheit ist dies eine kleine Übertreibung, wahr ist aber, dass sich der Film trotz seines Alters gehalten hat. Man kann ihn auch heute noch anschauen, wenn man mit dem niedrigen Budget und einer, je nach Version, durchwachsenen Bildqualität klarkommt.

Der richtige Hund für den Job

Die Schauspieler zu finden war weniger ein Problem, als den richtigen Hund. Don Johnson übernimmt in einer ersten Kinorolle den Part des Vic und spielt ihn überzeugend, die anderen Darsteller machen ihren Job ebenfalls solide. Der Regisseur konnte sogar den renommierten Schauspieler Jason Robards als Anführer der Untergrundgemeinde gewinnen, da Robards diese Rolle als Freundschaftsdienst für L.Q. Jones spielte und das Skript überzeugend fand. Der Filmhund Tiger begeisterte den Regisseur durch sein Training und sein Talent vor der Kamera und gewann so die Rolle des Blood. Seine Stimme wurde nach langem Suchen in Tim McIntire gefunden, der gleichzeitig an der Filmmusik mitwirkte.

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Gedreht wurde der Film in der Gegend um den Coyote Dry Lake in der Mojave-Wüste zwischen Kalifornien und Nevada. Dort wurden die Außenaufnahmen verwirklicht und die Löcher gegraben, in denen die post-apokalyptische Bevölkerung lebt. Dagegen wirken die Innenaufnahmen im Bunker etwas deplatziert.

Aber das ist in gewisser Weise Absicht: Die Bunkerbewohner laufen allesamt mit weißer Schminke im Gesicht herum und kleiden sich in einem ländlich-amerikanischen Idyll der 1950er Jahre. Das ist dann die Kritik an einer idealisierten US-amerikanischen Gesellschaft, die an ihrem Konsum-Ideal festhält, ohne die zerstörte Welt über ihren Köpfen in Betracht zu ziehen. Überhaupt spart A Boy and his Dog nicht mit einer gewissen Kritik an einer Gesellschaft, die nur das Recht des Stärkeren kennt. Die Rücksichtslosigkeit und emotionale Abstumpfung von Vic und Blood sind direkte Konsequenzen daraus. Und dass Vic in vielen Belangen ungebildet und stellenweise unsympathisch daher kommt, ist ebenfalls eine Konsequenz aus der barbarischen Umgebung, in der Vic groß geworden ist. Noch bevor der große Post-Apokalypse-Boom der 70er und 80er-Jahre einsetzte, schien A Boy and his Dog sagen zu wollen: "Seht her, der Weltuntergang gebiert nicht Helden des Überlebens, sondern Schurken und Bösewichter, macht aus Menschen Monster."

Inspiration für anderen Post-Apokalypsen

Diese zynische Grundhaltung ist mit einer der Gründe für den anhaltenden Kultstatus des Films. Er ist eine fortwährende Inspiration für Künstler und Autoren in vielen Bereichen. So sagte Mad-Max-Regisseur George Miller über den zweiten Teil seiner Action-Film-Reihe, er hätte A Boy and his Dog genommen und kommerziell erfolgreich gestaltet – und tatsächlich hat der Protagonist von Mad Max 2 einen (niedlichen) Hund dabei, der ihm mit unerschütterlicher Loyalität folgt. Auch die erfolgreiche Fallout-Spielereihe hat sich in großen Teilen von dem kleinen Kultfilm inspirieren lassen: Untergrundbunker, ein 50er-Jahre-Stil, Zynismus, die Postapokalypse und nicht zuletzt ein treuer Gefolgshund, welcher sich der Heldengruppe anschließen kann.

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A Boy and his Dog Movie Still

Nach dem Start des Films überlegte Regisseur L. Q. Jones noch einen Nachfolger zu produzieren, der diesmal einer jungen Frau und ihrem Hund folgen würde. Die junge Frau namens Spike wäre das genaue Gegenteil von Vic. L. Q. Jones war sich bewusst, dass sein Film die Frauenfiguren nicht unbedingt positiv darstellt, daher sollte der Nachfolger ein besseres Bild malen. Doch haperte es an der Finanzierung und schließlich starb auch der Hundedarsteller Tiger, so dass das Projekt namens A Girl and her Dog im Sande der Mojave-Wüste verlief.

Das Werk eines Lebens

Auch wenn A Boy and his Dog kein Kassenschlager war: Sein Einfluss auf die Popkultur – und unser Bild der Nach-Weltuntergangs-Gesellschaft – hat dieser kleine Film stark geprägt. Und zumindest bei einem Zuschauer hatte er Erfolg: L. Q. Jones organisierte eine private Vorführung des Films für Harlan Ellison, dessen Geschichte Jones in vielen Belangen umgeschrieben hatte. Daher fürchtete der Regisseur die Reaktion des notorisch jähzornigen Ellison auf seine Änderungen und wollte kein Publikum dabei haben. Nach dem Film, so erzählt es Jones, sei Ellison dann rasch aufgestanden, wäre in wenigen großen Schritten auf den Regisseur zugegangen und hätte ihm euphorisch die Hand geschüttelt. „Das ist die Geschichte, die ich geschrieben habe!“ soll er dabei gesagt haben. Allerdings hatte Harlan Ellison dann doch eine große Kritik: Das Ende habe ihm überhaupt nicht gefallen.

Trotzdem gehört A Boy and his Dog zu den Filmen, die zumindest spirituell nah am Werk von Harlan Ellison bleiben. Darauf, und den Kultstatus des Films, ist L. Q. Jones auch heute noch stolz und bezeichnet A Boy and his Dog als die wichtigste Arbeit seines Lebens.

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