Anime-Kritik: Death Parade

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Death Parade

Zwei Menschen gelangen via Fahrstuhl in eine Bar, wo sie in der Regel nur von einer "Servicekraft" begrüßt werden. Anschließend bestellen die Gäste etwas, ehe sich der Barkeeper danach erkundigt, ob sich die Menschen an der Theke noch daran erinnern können, was sich denn kurz vor ihrer Ankunft zugetragen hat.

Nachdem 99,9 Prozent der Befragten mit Nein geantwortet haben, wird dem Duo zumeist höflich, aber relativ unmissverständlich klargemacht, dass es nun via Zufallsgenerator ein Spiel auszuwählen habe. Steht dieses fest, geht es auch unmittelbar los. Die beiden Sitznachbarn werden zu Kontrahenten, die im Laufe des Duells irgendwann zu der Erkenntnis gelangen, dass sie bereits tot sind und jetzt darum kämpfen, wie es für sie weitergeht: Landen sie im "Himmel" oder enden sie in der "Hölle"?

Die etwas andere Bar

Wer dieses Etablissement zum ersten Mal sieht, dürfte nicht im Geringsten damit rechnen, dass es sich dabei um eine Art Jüngstes Gericht handelt. Tatsächlich nutzt dieser Anime diese religiösen Begrifflichkeiten allerdings praktisch nicht, und wenn doch - wie im Falle der im letzten Abschnitt in Anführungszeichen gesetzten -, dann nur, um auf diese Weise etwas sehr Komplexes vereinfacht darstellen zu können.

Der Barkeeper ist eigentlich ein sogenannter Schiedsrichter und kein Mensch, wie sich schon bald herausstellt. Der Zuschauer bekommt hauptsächlich einen Eindruck von dem Treiben im Quindecim vermittelt, in dem man passenderweise von Decim bewirtet wird. Ihm zur Seite steht meist eine junge Frau, deren Namen und Geschichte man erst sehr viel später erfährt. Aus Spoiler-Gründen wäre es bedauerlicherweise absolut kontraproduktiv näher auf diese Figur einzugehen, jedoch vielleicht so viel: Ihre Storyline ist es, für die man diesen Anime guten Gewissens endgültig innerlich mit dem Prädikat "besonders wertvoll" auszeichnen kann, wenn man es nicht bereits vorher längst getan hat.

Death Parade

Aber auch ohne auf dieses Highlight einzugehen, fällt es sehr leicht, viele andere inhaltliche Vorzüge respektive Besonderheiten der Serie zu benennen. An erster Stelle muss da sicherlich auf die ganz besondere Stimmung eingegangen werden. Die Handlung spielt fast ausschließlich in der Bar, in der das Licht gedimmt ist und praktisch keine hellen Farben zu entdecken sind. Klammert man den herausragenden, stets wunderbar auf das Dargebotene abgestimmten Score einmal aus, der ohnehin nur für den Rezipienten hörbar ist, wird das Geschehen überwiegend von einer gewissen Ruhe dominiert. In dieser vermeintlich so unaufgeregten Atmosphäre kommt es durchaus auch hin und wieder vor, dass man selbst kurzzeitig vergisst, dass sich hier zwei Tote begegnen. Insbesondere die Auftaktgespräche können nämlich gelegentlich recht locker oder gar amüsant geraten und einem daher schnell einen Streich spielen.

Sobald der erste Kombattant allerdings realisiert, dass es - lebendig oder nicht - hier für ihn um alles geht, wirkt die bis dato recht neutral anmutende Geräuschkulisse plötzlich kühl und unerbittlich. Man hört förmlich das Nichts, das Ende von allem, das dem Teilnehmer im ungünstigsten Falle blüht.

Man erfährt zudem, dass der Fahrstuhl in diesem dimensionalen "Wartezimmer" das Haupttransportmittel ist und es unzählige Stockwerke sowie mehrere Abteilungen gibt. In einer werden beispielsweise die Erinnerungen der Besucher zusammengesetzt, die im Anschluss an Decim und dessen Kollegen weitergeleitet werden, damit die Spielleiter sie als Entscheidungshilfe nutzen können. Darüber hinaus wird recht schnell deutlich, dass diese Zwischenwelt hierarchisch aufgebaut und die langhaarige Nona quasi die Chefin der Schiedsrichter ist, die eine eigene sehr geräumige und sehr grüne Paradies-Etage zu bewohnen scheint. Doch auch sie hat einen Vorgesetzten, der ihr zwar viele Freiheiten lässt, wenn sie im Gegenzug mit ihm regelmäßig Billard spielt, jedoch auch in seinen wenigen Auftritten mehr als nur andeutet, dass es auch für sie Grenzen gibt, die sie besser nicht überschreiten sollte.

Diese offenbar sehr mächtigen Charaktere erhalten im Verhältnis nicht sonderlich viel Screentime und was sie und die "Nicht-Bar-Welt" anbelangt, erfahren die Zuschauer auch insgesamt nur sehr wenig, was gut ist. Damit dieses Setting nämlich auf das Publikum wirken kann, wie es letztlich auf es wirkt, muss dieser Kosmos zwangsläufig ein Mysterium bleiben.

Death Parade

Die etwas anderen Toten

Dennoch geht es in Death Parade letztendlich eindeutig in erster Linie um die kürzlich Verstorbenen. Wer mit wem in zum Beispiel dem Quindecim ankommt, hängt einzig und allein von dem Todeszeitpunkt ab. Das Paar, das bei einem Autounfall ums Leben kam, kannte sich logischerweise. Wie sich bald allerdings zeigt, nehmen hier die unterschiedlichsten Menschen parallel am Tresen Platz und bestellen einen Drink.

Und gerade das macht das Format aus. Jede Figurenkonstellation ist anders und für den Zuschauer wie auch Decim immer wieder neu. Ist es wirklich besser, wenn sich Menschen, die sich (vermeintlich) lieben, an diesem Ort und unter diesen Umständen begegnen? Erlebt man dort überhaupt die Person, die vor wenigen Stunden (womöglich) noch ihr Leben in vollen Zügen genossen hat? Begegnet man eventuell jemandem, der sich erstmals so zeigt, wie er oder sie eigentlich ist oder jemandem, der bis zuletzt versucht, seine Fassade aufrechtzuerhalten? Denkt man einmal darüber nach, sind bereits diese Ausgangsfragen ungemein interessant, und mit ihnen ist selbstverständlich längst noch nicht Schluss.

Wie bereits angesprochen, plagen die Neuankömmlinge zunächst massive Gedächtnislücken. Die einen gehen damit sehr locker um und machen einen völlig entspannten Eindruck, während andere von Beginn an zumindest spüren, dass etwas nicht stimmt respektive recht schnell den Ernst der Lage erkennen. So oder so verändert sich mit jeder zurückgekehrten Erinnerung das Verhalten desjenigen, der sich erinnert, ein Stück weit. Den Schiedsrichtern ist es außerdem möglich, durch leichte Manipulationen, die Duellanten einer Extremsituation auszusetzen und den beschriebenen Prozess auf diese Weise zu beschleunigen. Schließlich hat der zuständige Barkeeper angesichts der unzähligen Todesfälle, die es abzuarbeiten gilt, nicht ewig Zeit, um sein Urteil zu fällen.

Death Parade

Decim von der ersten bis zur letzten Minute zuzusehen, wie er versucht, möglichst fair darüber zu befinden, welche Seele wiedergeboren werden soll und welche nicht - darum geht es hier nämlich in Wahrheit -, ist regelrecht faszinierend. Vertreter seiner „Spezies“ sind nicht in der Lage, zu sterben. Sie haben eine Vorstellung davon, was es bedeutet, etwas zu fühlen, empfinden im Normalfall jedoch nichts, weil sie das nur von ihrer Aufgabe ablenken würde. Der Protagonist des Anime selbst wiederum ist aber fasziniert von den Menschen und versucht sichtlich, durch jeden seiner Gäste etwas Neues über die Erdenbewohner zu erfahren. Gelegentlich erinnert das sogar an  fiktionale Werke, in denen KIs auftauchen, die uns immer wieder darüber nachdenken lassen, was den Menschen eigentlich zum Menschen macht. Der Arbiter lernt sichtlich dazu, bis er sogar kurz davorsteht, das gesamte Bewertungssystem zu hinterfragen - ein weiterer Schlüsselmoment der Serie.

Allerdings lernt auch der Rezipient eine Menge über sich. Vor allem lernt er, wie leicht man sich auf eine falsche Fährte locken lassen kann und wie schnell scheinbar klare Sachverhalte plötzlich gar nicht mehr so klar sein können. Am deutlichsten wird dies als Decim darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass in Kürze ein Mörder eintreffen wird. An sich eine klare Sache, oder etwa doch nicht? Jede Information mehr sorgt für eine völlig neue Ausgangslage und irgendwann dafür, dass man in vielen Fällen am Ende ratlos auf die beiden Fahrstühle blickt - wer letztlich wohin fährt, lässt sich zumeist ohnehin nur mutmaßen, was der nächste Beweis für das diesen Titel auszeichnende starke Storytelling ist.

All diese Schicksale dürften wohl nur die Abgebrühtesten unter uns vollkommen kaltlassen. Bedenkt man, dass fast alle Zweier-Konstellationen nur für jeweils zwanzig Minuten zu sehen sind, mutet es noch bemerkenswerter an, dass es den Machern trotzdem gelingt, dass einem jedes Mal das Schicksal von mindestens einem der beiden derart nahegeht. Dies setzt jedoch voraus, dass man sich im Vorfeld sehr genau überlegt hat, wie jede einzelne Folge aufgebaut sein, wann welcher Akteur auftreten und vor allem wann welcher Satz fallen muss. Es mögen nur zwölf Episoden sein, aber es fühlt sich am Ende tatsächlich so an, als hätte man einen intensiven Einblick in mehrere Leben gehabt.

Fazit

Ähnlich wie das Ausnahmewerk Death Note lässt auch das deutlich kürzere Death Parade den Zuschauer nach dem letzten Outro mit dem Gefühl zurück, dass man unbedingt noch viele weitere Stunden in diesem Universum verbringen und sich überraschen, schockieren, berühren sowie begeistern lassen möchte. Und aus ebendiesem Grund wäre man auch hier klug beraten, gerade dieser Versuchung nicht zu erliegen und keine weitere Staffel zu produzieren.

Diese Anime wirken lange nach. Man vergisst sie nicht und wird stets, wenn man an sie denkt, mindestens eine Szene direkt vor Augen haben, die in einem etwas auslöst. Eben weil sie rund sind, und das obwohl sie nicht alle im Raum stehenden Fragen zur Zufriedenheit aller beantwortet haben. Daher sollte es auch niemanden überraschen, dass man in der Serie von 2015 eventuell die eine oder andere Anspielung auf den mittlerweile fast schon modernen Klassiker von 2006 entdecken kann.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Universum Film

Death Parade - Trailer (deutsch/german; FSK 12)

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