There Is a Tide... - Kritik zu Star Trek: Discovery 3.12

SPOILER

Star Trek: Discovery 3.12 ist die dritte Folge der Staffel, bei der Jonathan Frakes Regie geführt hat, abermals nach einem Drehbuch von Kenneth Lin. Zwar knüpft “Es gibt Gezeiten ...” wieder mehr oder minder nahtlos an die vorherige Episode an, konzentriert sich in der Handlung jedoch gänzlich auf die Geschehnisse um und auf der Discovery - Su’kal und seine Holo-Welt bekommen wir wohl also erst im Finale wieder zu sehen

....sich durch Not und Klippen winden

Der Titel “Es gibt Gezeiten...” (OT: “There Is a Tide...”) stammt aus Shakespeares Julius Caesar (Akt IV, Szene III). Brutus spricht zu Cassius:

“Es gibt Gezeiten auch für unser Tun.
Nimmt man die Flut wahr, führet sie zum Glück,
versäumt man sie, so muß die ganze Reisedes Lebens
sich durch Not und Klippen winden.”

Quasi ein etwas extremerer Aufruf dazu, die Gunst der Stunde zu erkennen und zu nutzen, sonst wird es unschön. Aber was hat das jetzt mit Discovery zu tun? Das mag jeder für sich selbst interpretieren -  aber wenn ich Shakespeare zitieren kann, dann zitiere ich Shakespeare, so will es das Gesetz.

Um Not und Klippen winden sich erstmal Booker und Burnham in einem wilden Ritt der Discovery hinterher durch den Trans-Warp-Tunnel, den die Kuriere aus nun ersichtlichen Gründen nur noch ungern nutzen, den ollen Schrottplatz. Wieso werden die Trümmer nicht wieder in den Normalraum gespuckt? Kann man da nicht mit einer Art großem Fischernetz zum Aufräumen durch? Naja, egal, sie schaffen es ja unbeschadet - inklusive Grudge - ans Ziel.

Ich begrüße, dass immerhin direkt in der Episode selbst nachgehakt wird, warum es überhaupt möglich ist, dass Books Schiff einfach so ohne aufgehalten zu werden in die Disco-Landebucht krachen kann. Nicht genug, dass der kleinste kurze Ausfall von Schilden gleich alles und jeden Einmarschieren lässt, was bitte ist das für eine pseudofuturistische Technologie, deren Scanner sich durch ein bisschen Feuer und Qualm gleich von der Arbeit abhalten lässt? Aber ich stelle zu viele Fragen: Die Aktion sah gut aus, war spaßig und braucht es, um die Handlung der Folge voranzubringen. Passt.

Friedensangebot

Leider durften wir Osyraa bislang kaum und nur sehr einseitig kennenlernen, ihre grundlegende Motivation blieb und bleibt verborgen. War das den größeren Überraschungseffekt jetzt wert, dafür die ganze Staffel bislang einen eher flachen und dadurch öden Gegenspieler zu haben?

Es führt auf jeden Fall zu großartigen Szenen: Admiral Vance und Osyraa im Zwiegespräch bei Friedensverhandlungen. Ich war ja schon froh, dass der Admiral das Manöver mit dem gespielten Angriff und auch die Übernahme der Discovery durch Osyra recht zügig erkannt und gleich entsprechende Schutzmaßnahmen eingeleitet hat. Dass er dann auch noch die Ideale der Föderation hoch hält - große Liebe.

Überhaupt: Wie schon bei Georgiou und Kovich in ähnlichen Setting schätze ich die ruhigen, politischen Gespräche sehr, die für mich so viel spannender als jede Action-Szene sind. Einmal sind es die vielen netten Kleinigkeiten wie etwa der Austausch ob des Aussehens und der Funktion von Eli, dem Lügendetektor oder darüber, dass alles Essen (und überhaupt beinahe alles) aus Scheiße und Müll gemacht ist. Osyraa scheint darüber überrascht, aber die Funktionsweise von Replikatoren dürfen eigentlich nicht so unbekannt sein, oder?

Zum anderen geht es aber natürlich um wirklich große Dinge. Dafür möchte Osyraa mit dem Präsidenten der Föderation sprechen, was Admiral Vance umschifft bekommt. Gibt es überhaupt einen amtierenden Präsidenten, und falls ja, hat Vance Kontakt? Ich nehme an: Nein, aber Osyraa hakt auch nicht weiter nach. Wir erfahren dabei auch gleich, dass Osyraa nicht die Anführerin schlechthin, sondern eine Ministerin in einem bereits bestehenden größeren Verbund der Smaragdkette ist.

Osyraa ist bewusst, dass der Smaragdkette Ressourcen ausgehen und sie so nicht ewig an der Macht bleiben kann. Zudem hat sie einen eher schlechten Ruf - im Gegensatz zur Föderation, die trotz allem noch als Zeichen der Hoffnung gilt. Es soll eine Waffenruhe geben, und im Prinzip sollen sich Smaragdkette und Föderation zusammenschließen.

Die Föderation muss akzeptieren, dass es Kapitalismus gibt und die Smaragdkette nunmal ihren Handel betreibt und das auch offiziell von der Föderation legitimiert wird (wo bleiben die Ferengi?). Dafür will sich die Smaragdkette an die oberen Prinzipien der Föderation halten, Sklaverei verbieten, sich binnen der nächsten 15 Jahre von allen unterjochten Planeten zurückziehen und vor allem ihre hochkarätigen wissenschaftlichen Ressourcen einbringen, um den Sporenantrieb für alle zugänglich zu machen.

Das klingt schon fast zu gut, selbst Admiral Vance hat auch nach gründlichen Studium eigentlich nichts am Vertrag auszusetzen. Eigentlich. Wäre da nicht das Problem, dass sich Osyraa und auch ihre Handlanger sich nicht als Gesicht der Kampagne eignen. Vance kann und will die Ideale der Sternenflotte nicht so weit verbiegen - alles könne nur gelingen, wenn Osyraa für ihre Straftaten der Prozess gemacht wird. So sehr will Osyraa den Frieden und die bessere Zukunft für alle Bewohner des dortigen Galaxie-Abschnittes dann doch nicht.

Die Szenen zwischen Admiral Vance und Osyraa sind sowohl inhaltlich als auch durch Oded Fehrs und Janet Kidders überaus überzeugendes Zusammenspiel ein absolutes Highlight der Folge. Ich wünsche mir sehr, dass in der Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen ist und die Zukunft der Föderation sowie neue Bündnisse der Fokus der vierten Staffel werden dürfen.

Yippie-ya-yay, Schweinebacke!

An Bord der Discovery haben Osyraas Schergen derweil andorianisches iOS auf dem Bordcomputer installiert, während die Crew an die Feiertage gedacht hat und ihre eigene Version der traditionellen Weihnachtsgeschichte Stirb langsam inszeniert. Michael robbt sich barfuß auf Rettungsmission durch die Jeffries-Röhren und plauscht dabei mit Möchtegern-Hans-Gruber Zareh (den hat auch niemand vermisst, oder?), die Crew hält zusammen, und Ryn darf kurz vor seinem Ableben noch die jährliche Ansprache über die Macht der Liebe halten.

Ich kann mir zwar vorstellen, dass die Discovery nicht genug Plätze in der Brig für die gesamte Mannschaft bereit hält, aber die Brücken-Crew zusammen in einem Raum mit nicht einmal einer handvoll Wachen festzusetzen ist auch nur so semi-clever, oder? Aber egal, sie unterstützen weiterhin Captain Tilly und hören auf ihr Kommando. Das allgemein junge Durchschnittsalter zeigt Vorteile - das auf der Sternenflottenakademie Erlernte ist noch einigermaßen frisch in Erinnerung und so die stille Kommunikation via Fingermorsecode einfach möglich.

Die Brücke würden sie alle gemeinsam also wahrscheinlich auch ohne die Hilfe der Sphären-Daten-Persönlichkeit wieder einnehmen können, aber dann müsste das Franchise auf seine eigenen niedlichen Droiden verzichten. Dieser Mix aus BB-8 und EVE ist im Trek-Universum - trotz vorherigem Erscheinen - ungewohnt und vermutlich in der Form unnötig, aber halt doch auch entzückend.

Yeah, Wissenschaft!

Auch wenn vorher nie die Rede davon war, so scheint die Smaragdkette tatsächlich sehr viel Wert auf Wissenschaft zu legen und unterhält hervorragende Forschungseinrichtungen mit brillanten Köpfen. Mit ihrem Chef-Wissenschaftler Aurelio pflegt Osyraa einen überraschend vertrauten, freundlichen Umgang. Der kennt aber auch nur ihre wohltätige Seite. Aurelio muss in einem ziemlichen Elfenbeinturm hausen, wenn er von Osyraas Machenschaften in all den Jahren echt so gar nichts mitbekommen haben will. Den Worten seines neuen besten Kumpels Stamets glaubt er nicht direkt, aber im Lauf der Episode wird er höchst selbst noch Zeuge davon, wie Osyraa ihr Tagesgeschäft erledigt, damit sie voran kommt. Ich rieche eine Ein-Personen-Revolte.

Zwar wäre naheliegend, dass Stamets und Aurelio über ihre Wissenschafts-Leidenschaft einen Draht zueinander haben, doch Stamets geht eher den Weg, über persönliche Gemeinsamkeiten ans Gewissen seines Geiselnehmers zu appellieren. Andorianische Oper und Liebe zum Ehepartner schön und gut, aber Adira im Brustton der Überzeugung als sein Kind zu nennen, kommt in der Form doch überraschend, zumal es eben nicht einfach nur ein Mittel zum Zweck zu sein scheint.

Der ganze Austausch zwischen Stamets und Aurelio unterhält nicht nur gut, sondern gibt auch zusätzliche weitere Informationen über die Zeit, in der die Discovery gelandet ist. So ist Aurelio von der Großartigkeit des Sporenantriebs absolut begeistert und hält dies nur für möglich, weil die Welt der Wissenschaft in der Vergangenheit eine bessere gewesen sei. Dazu führt er auch an, dass es ihm persönlich da wohl auch besser gegangen wäre, als Technologie noch frei verfügbar und das Reisen einfach gewesen sei. In seiner jetzigen Welt verdanke er mit den Problemen seines Gendefektes der Großzügigkeit von Osyraa sein Leben. Allerdings ist man jetzt ja dennoch in der Zukunft und hat grundsätzlich technisch ganz andere Möglichkeiten, also könne er auch die Tardigrade-DNA reproduzieren und den Sporenantrieb vervielfältigen. Ganz einfach.

Interessant sollte die Konsequenz aus Burnhams Entscheidung hinsichtlich Stamets werden. Sollte - ob es die Serienmacher ebenso als schwerwiegenden Konflikt sehen und es entsprechend umsetzen, bleibt noch offen. Zum einen handelt Burnham hier eigenmächtig mit minimalem Wissen über die Gesamtsituation und ohne irgendeine Rücksprache mit irgendwem. Ok, es ist auch eine Extremsituation, in der schnell gehandelt werden muss - aber Stamets ist nicht irgendein Gegenstand, und zudem unterwandert Burnham damit auch etwaige Pläne, bei denen der Sporenantrieb entscheidend wäre. Eben noch wurde Stamets von Osyraa zum Technik-Zombie, nun wird er von Burnham per Vulkannarkosegriff ausgeschaltet und gegen seinen Willen in gefährlicher Aktion vom Schiff geworfen. Natürlich kann man Michael nicht ewig und in jeder Situation vorwerfen, dass man ihretwegen alles zurückgelassen hat - aber ihre Aktionen jetzt sind für sich fragwürdig genug. Das kann eigentlich auch mit nichts in kurzer Zeit wieder vergessen gemacht werden und sollte zu einem Riss im Verhältnis zwischen Teilen der Crew, Sternenflotte und Burnham führen. Als ob ich noch mehr Gründe bräuchte, um absolut gegen Burnham in irgendeiner Führungsposition zu sein.

Fazit

Auch wenn es reichlich kritische Anmerkungen und Fragen gibt, so ist die Folge an sich sehr stimmig zusammengesetzt, weiß zu unterhalten, ist spannend und liefert einiges an lange erhofften Informationen zur Smaragdkette und der Föderation. Vieles hängt nun abermals davon ab, in welche Richtung sich die nächste, finale Episode bewegt.

Als kleines Vorabfazit zur Staffel sticht es aber eben schon, warum in den bisherigen Folgen so viel Zeit für unnütze Action und Randgeschichten verschwendet wurde, statt Osyra und die Smaragdkette frühzeitig vielschichtiger aufzubauen und auch die Diskrepanz mit der Föderation tiefgehender zu zeigen.

Star Trek: Discovery

Originaltitel: Star Trek: Discovery
Erstaustrahlung 24. September 2017 bei CBS All Access / 25. September 2017 bei Netflix
Darsteller: Sonequa Martin-Green (Michael Burnham), Jason Isaacs (Captain Gabriel Lorca), Michelle Yeoh (Captain Georgiou), Doug Jones (Lt. Saru), Anthony Rapp (Lt. Stamets), Shazad Latif (Lt. Tyler), Maulik Pancholy (Dr. Nambue), Chris Obi (T’Kuvma), Shazad Latif (Kol), Mary Chieffo (L’Rell), Rekha Sharma (Commander Landry), Rainn Wilson (Harry Mudd), James Frain (Sarek)
Produzenten: Gretchen Berg & Aaron Harberts, Alex Kurtzman, Eugene Roddenberry, Trevor Roth, Kirsten Beyer
Entwickelt von: Bryan Fuller & Alex Kurtzman
Staffeln: 4+
Anzahl der Episoden: 42+


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