Retro-Kiste: Jahr 2022 … die überleben wollen – Soylent Green

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Soylent Green

In den 70er Jahren ging die Welt für die Kinozuschauer mehrfach unter – und wenn schon nicht der gesamte Planet dem Untergang geweiht war, dann bebte die Erde, brannten Hochhäuser oder zombieartige Horden eroberten die Städte. Klassische Beispiele für die Welle dieser Katastrophen- und Weltuntergangsszenarien sind Airport (1970), Der Omega-Mann (1971), Erdbeben (1974), Flammendes Inferno (1974), Dawn of the Dead (1978) und Meteor (1979).

Ein weiteres in den 70er Jahren sehr beliebtes Subgenre waren Verschwörungsthriller wie Zeuge einer Verschwörung (1974), Die drei Tage des Condors (1975), Die Unbestechlichen (1976) oder Unternehmen Capricorn (1978). Der Regisseur Richard Fleischer griff in seinen Film Soylent Green – Jahr 2022 ... die überleben wollen (1973) beide Strömungen auf.

Sein Film über eine Zivilisation am Rande des Zusammenbruchs beginnt idyllisch. Zu harmonischer Musik sieht man Bilder vom Landleben des frühen 20. Jahrhunderts. Fotos von Menschen, erste Automobile und Fluggeräte wechseln sich ab. Dann schreitet die Zeit voran, und man bekommt immer mehr Menschen und Maschinen zu sehen. Schließlich wird die Musik immer schriller und unter die gezeigten Menschenmassen mischen sich Bilder von Müllbergen und Fabrikschornsteinen. So gelangt der Zuschauer schließlich ins New York des Jahres 2022.

Die Stadt hat 40 Millionen Einwohner und bietet nicht mehr genug Wohnraum für alle Menschen. Viele schlafen in den überfüllten Hausfluren oder leben in Autowracks auf den Straßen. Die Ernährung der Stadtbevölkerung kann nur durch synthetische Nahrungsmittel der Soylent Cooperation sichergestellt werden, welche gerade das neue Soylent Green auf den Markt gebracht hat. Alte und Kranke können Euthanasiezentren aufsuchen. Ihre Verwandten erhalten für die eingeschläferte Person wahlweise Geld oder Nahrungsmittel.

Der Polizist Thorn und sein Mitbewohner Sol gehören in dieser Welt schon zu den Privilegierten, die sich eine kleine Wohnung teilen. Aber auch auf ihren Tisch kommt oft nur Soylent Red, Yellow oder Green. Thorn kennt ein anderes Leben nur aus den Erzählungen des alten Sols, der sich aus seiner Jugend noch an frische Luft, gutes Essen und kühle Sommer erinnern kann.

"Und sein Beruf?" "Reich."

Wie gut es den wirklich privilegierten Menschen geht, erfährt Thorn, als er die Ermordung des Vorstandsvorsitzenden der Soylent Cooperation aufklären soll. Mr. Simonson lebte im luxuriösen Chelsea Tower West. Dort sieht der Ermittler, was seinem eigenen relativ guten Leben fehlt: eine Klimaanlage gegen die Hitze, frische Lebensmittel, saubere sanitäre Einrichtungen und echter Bourbon Whiskey. Bei seinen Ermittlungen in der Luxussuite lernt er auch Shirl kennen, welche als "Inventar" zur Wohnung gehört und darauf hofft, vom Nachmieter übernommen zu werden.

Obwohl Thorn schnell erkennt, dass es sich bei den Verbrechen nicht um einen einfachen Raubmord, sondern um eine Art Hinrichtung handelt, bedient er sich zunächst großzügig bei den Luxusgütern des Opfers. Zu Hause bereitet der alte Sol ihm damit seine erste Mahlzeit aus frischen Lebensmitteln.

Doch auch an seinen Ermittlungen bleibt Thorn dran, selbst als sein Chef ihm vom Fall abzieht. Der Polizist ist einer Verschwörung auf der Spur: Die Politiker hüten ein Geheimnis, das Thorns ohnehin schon schreckliche Welt in einem noch viel grausameren Licht erscheinen lässt.

Richard Fleischer wurde durch die Jules-Verne-Verfilmung 20.000 Meilen unter dem Meer (1954) und den Science-Fiction-Film Die phantastische Reise (1966) bekannt. Soylent Green ist sein wohl politischster und kritischster Film. Danach drehte er noch mehrere Western und die beiden Fantasyfilme Conan der Zerstörer (1984) sowie Red Sonja (1985).

Sein Hauptdarsteller hat im Laufe seiner Karriere mehr Katastrophen und Apokalypsen (Der Omega Mann, Planet der Affen, Erdbeben) überlebt als die meisten anderen Schauspieler. Deswegen war es für das Publikum der 70er Jahre nicht verwunderlich, dass gerade Charlton Heston als Polizist in einer kaputten Zukunftsstadt ermittelt. Zu Beginn seiner Schauspielkarriere spielte er in vielen Western mit. Früh war Heston auch in erfolgreichen Antikfilmen wie Die Zehn Gebote (1956) und Ben Hur (1959) zu sehen. Außerdem übernahm er die Hauptrolle in Orson Welles' Thriller Im Zeichen des Bösen (1958).

An seiner Seite ist Edward G. Robinson in seiner letzten Rolle zu sehen. Der Schauspieler erlag seinem Krebsleiden, noch bevor Soylent Green in die Kinos kam. Robinson spielte in vielen Gangsterfilmen (Der kleine Caesar, Frau ohne Gewissen) mit. Zusammen mit Heston trat er bereits 1956 in Die zehn Gebote auf. Weiteren Rollen übernehmen Leigh Taylor-Young (Picket Fences: Tatort Gartenzaun), Chuck Connors (Flipper), Joseph Cotten (Der dritte Mann) und Brock Peters (Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart, Star Trek VI: Das unentdeckte Land).

Die Vorlage für den Film schrieb der Science-Fiction-Schriftsteller Harry Harrison (Stahlratte-Serie, Todeswelt-Trilogie, Bill, der galaktische Held), der heute ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Am bekanntesten ist heute noch sein Roman New York 1999 (Make Room! Make Room!), welcher als Vorlage für Fleischers Film diente.

Allerdings baut der Film eine fundamentale Änderung ein, welche der 1966 erschienene Roman nicht enthielt: Das Ende, welches hier nicht gespoilert werden soll, gibt es in der Form im Buch nicht. Es schildert dieselben katastrophalen Lebensbedingungen, aber der Polizist deckte keine vergleichbare Verschwörung wie im Film auf. Der Autor selbst meinte, dass das neu hinzugefügte Ende der Geschichte nicht gut tut und von den wesentlichen Aspekten des Romans ablenkt.

"Ich hätte mich längst einschläfern lassen sollen."

Die Vorliebe des damaligen Hollywoods für Katastrophen, Verschwörungen und dystopische Zukunftsentwürfe hatte etwas mit dem gesellschaftlichen und politischen Klima in den USA der 70er Jahre zu tun. Die wirtschaftliche Rezession, die Ölkrise, wachsende Kriminalität in den Städten, der Vietnamkrieg sowie der Watergate Skandal lösten Sorgen und Ängste in der Bevölkerung aus.

Zusätzlich desillusionierte das enttäuschende Ende der 68er-Bewegung viele der junge Amerikaner, und auch der Bericht des Club of Rome über Das Ende des Wachstums sorgte nicht dafür, dass die Menschen optimistisch in die Zukunft blickten. Der 1972 veröffentlichten Bericht warnte vor einer globalen Katastrophe, sollte die Menschheit in den nächsten hundert Jahren die großen Probleme, wie Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen, nicht in den Griff bekommen.

Die unterbewussten Ängste ihrer Zuschauer griffen unterschiedlichste Regisseure in ihren Thrillern, Horror- und Science-Fiction-Filmen wieder auf. Auch Soylent Green ist ganz klar ein Produkt seiner Zeit und behandelt viele Themen, die in Das Ende des Wachstums angesprochen wurden.

"Also ist es richtig?" "Richtig ist es nicht, aber notwendig."

So ist das zentrale Thema des Films die Nahrungsmittelknappheit – welche nur durch die synthetischen Soylent-Produkte gelindert werden kann. Außerdem wird die Erwärmung erwähnt, wenn Thorn sich darüber beschwert, dass es nachts noch 32 Grad sind. Die Folgen der Umweltzerstörung werden prägnant in Szene gesetzt, wenn der Gouverneur von New York sich in den Resten des Central Parks erholt – ein Zelt mit wenigen verkrüppelten Bäumen.

Aber nicht nur die zerstörte Natur wird im Film thematisiert. Gezeigt wird auch, wie die Gesellschaft durch die verschlechterten Umweltbedingungen verroht. Die Polizei geht bei Unruhen während der Nahrungsmittelverteilung mit Schaufelbaggern gegen die aufgebrachte Bevölkerung vor. Überall in den Hausfluren sitzen schwer bewaffnete Wachen, die dafür sorgen, dass die Wohnungslosen nicht weiter in die Häuser eindringen. Junge Frauen werden in den Luxuswohnanlagen als "Inventar" bezeichnet und auch so behandelt. Und für die Kranken und Alten gibt es keine Fürsorge, sondern Euthanasiezentren.

Als Polizist bewegt sich Thorn durch beide Welten. Von der Luxuswohnung, in der er fasziniert fließendes Wasser und ein Stück Seife bestaunt, verschlägt es ihn in der nächsten Szene auf die Straße, wo der Polizist ein verwaistes Mädchen findet, welches mit einer Schnur noch an seine tote Mutter gebunden ist.

Dystopien sind auch heute wieder in Mode – aber im Gegensatz zu den aktuellen meist jugendlichen Helden (Die Tribute von Panem, Hüter der Erinnerung, Maze Runner), die erfolgreich gegen Despoten kämpfen, kann Thorn nicht gewinnen. Das liegt zum einem daran, dass die Hintermänner für ihn nicht greifbar sind. Und sollte er dennoch erfolgreich sein und die Bevölkerung über die wahren Missstände aufklären, würde es langfristig nichts ändern. Das Hauptproblem - die zerstörte Umwelt der Erde und die sich daraus ergebenden katastrophalen Folgen - wären nicht einmal ansatzweise gelöst.

Soylent Green ist heute Teil der Popkultur. Mehrere Metalbands benannten sich nach dem Film und die Vorläufer Gruppe Die Ärzte hieß Soilent Grün. Auch in mehreren Folgen der Serien Futurama tauchen verschiedene Soylent-Produkte auf. Vielleicht ist der eigentlich dystopische Charakter des Films im Laufe der Zeit darüber ein wenig in den Hintergrund gerückt.

"Als du jung warst, da waren die Menschen besser." "Ach Quatsch, die Menschen waren immer schlecht. Aber die Welt war wunderschön."

Man kann sich nach dem Film zurücklehnen und denken, so schlimm, wie sie sich die Zukunft 1973 ausgedacht haben, ist es Gott sei Dank nicht gekommen. Aber ein Jahr, bevor Soylent Green in die Kinos kam, veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht Die Grenzen des Wachstums. Die darin angesprochenen Probleme sind auch heute noch aktuell.

Der Bericht des Club of Rome bezog sich 1972 auf die nächsten hundert Jahren. Richard Fleischer hat die Handlung seines Films vielleicht zu früh angesetzt. Soylent Green bleibt trotzdem eine bedrohliche Warnung, denn von den hundert Jahren sind heute nur noch 54 Jahre übrig.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Metro-Goldwyn-Mayer

Soylent Green (1973) Trailer

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