The Outer Worlds Header
Nicht immer muss das Rad gleich neu erfunden werden, und wenn das Rad der einzigen Konkurrenz platt und löchrig ist, so wird das neue Produkt nach einer alten Idee bestens aufgenommen. Besonders gut funktioniert das Prinzip, wenn es um Videospiele mit einer enttäuschten Fangemeinde geht - spezifischer Spiele der Fallout-Reihe von Bethesda. Diese sind bekannt dafür, ewig kaputt und technisch unsauber zu sein. Der Favorit der Spieler ist sogar ausgerechnet Fallout: New Vegas, ein Spiel eines anderen Entwicklers. Dieser Entwickler, Obsidian Entertainment, hat nun erkannt, dass der Markt Bedarf für einen weiteres “Rad” hat, die Lizenz hinter sich gelassen und mit The Outer Worlds einen eigenen geistigen Nachfolger entwickelt, der die Originaltitel wie billige Kopien aussehen lässt. Bethesda wäre wahrscheinlich sogar enttäuscht, wenn sie nicht alle Kapazitäten dafür aufwenden würden, Schadensbegrenzung um neue, negative Schlagzeilen zu Fallout 76 zu betreiben.
Schon die erste große Entscheidung in The Outer Worlds setzt sich maßgeblich von dem ab, was in einem Durchschnitts-Fallout an Dialogen und Tiefe zu finden ist. In einem fernen Sonnensystem haben sich die Menschen in Form der Halycon-Kolonie auf mehreren Planeten angesiedelt. Regierungen oder Militär gibt es nicht, der Bund besteht aus acht hyperkapitalistischen Unternehmen, deren Management die alleinige Kontrolle über jeden Aspekt der Siedler hat. Wochenenden sind nur noch Mythen, Krankheiten gelten als Ungehorsam und jeder ist verpflichtet, in alltäglichen Gesprächen Produkte mit Slogans anzupreisen.
„It's not the best choice - It's Spacer's Choice!“
Doch was offensichtlich antagonistisch ist und sich satirisch an Arbeitsbedingungen bei Amazon annähert, offenbart sich schnell als große Grauzone. Zwar ist eine kleine Gruppe von Rebellen auf dem richtigen Weg, als sie sich von ihrer Siedlung um eine Thunfischfabrik abspaltet, doch sie haben mit ihrer radikalen Isolation die Lebensbedingungen der anderen Arbeiter nur erschwert. Diese mussten für ihre aufmüpfigen Kollegen einspringen und sind durch die darauffolgende Nahrungsmittelknappheit auf den Fisch aus Konserven angewiesen. Ihr Slogan bewirbt Protein, doch der Vitaminmangel rafft schnell viele Arbeiter dahin. Medizin gibt es nur für unentbehrliche Arbeiter und Manager. Alle anderen müssen ihre eigenen Särge bezahlen. So steht es im lebenslangen Arbeitsvertrag als Eigentum der Firma.
Es mag somit zwar eine moralisch „bessere“ Seite geben, doch die Entscheidung des Spielers - selbst in der Rolle eines nach fünfzig Jahren aus dem Cryoschlaf aufgeweckten Kolonisten - zerstört eine der Gemeinschaften. Auch unschuldige Überlebende würden spätestens am Hunger zugrunde gehen. Doch eine seichte Zwischenlösung, die scheinbar beide Parteien versöhnt, ist nicht besser. Beide Seiten müssen sich zähneknirschend mit starken Einschränkungen zufriedenstellen - ihre Träume eines besseren Lebens werden zerstört. Die Fragen um eine perfekte Gesellschaft kommen im Spiel öfter auf: Wie schafft man eine faire Lebensgrundlage? Wer trägt die Schuld, wenn diese nicht funktioniert? The Outer Worlds lässt dies den Spieler in langen und vielfältigen Dialogen entscheiden, die so clever wie amüsant geschrieben sind.
„Das nenne ich aggressive Verhandlungen!“
An der Stelle setzt sich The Outer Worlds endgültig von der Konkurrenz ab: Personen können im Gespräch in dutzenden Varianten vom eigenen Anliegen überzeugt werden. Bedrohe ich den Bürokraten mit einschüchternden Wortwitzen, überzeuge ihn mit technischem Know-How, oder kneife ich meine Augen zusammen und nehme ihn nonverbal langsam auseinander? Letzteres ist natürlich vom wortwörtlichen Auseinandernehmen zu unterscheiden, was das Spiel mit einer Vielzahl an retro-futuristischen Schuss-, Laser-, Plasma- und Nahkampfwaffen ermöglicht. Das ist zwar nicht so befriedigend wie das Skript, löst seine Aufgabe aber befriedigend, ohne dass man - wie in einem Fallout - fürchten muss, aufgrund eines Spielfehlers plötzlich durch den Boden zu fallen.
Und weil in dieser Kritik noch nicht genügend direkte Vergleiche mit dem Vorbild eingebaut sind: Ja, The Outer Worlds schaut sich auch einige Schwächen ab, beginnend bei der grafischen Umsetzung. Dank eines gelungenen künstlerischen Stils, der sich gehörig beim Retrofuturismus abschaut, aber auch viele eigene Ideen hat, fällt die veraltete Grafik nicht sehr negativ auf - bis man einem Charakter während eines Gesprächs ein wenig ZU lange in das animierte Gesicht schaut. Bevor sich jemand nämlich in den digitalen Augen einer Figur verliert, geht es ab in den Kurzurlaub in die Uncanny Valley. Natürlich schießt sich das Spiel damit nicht ins Aus, doch bedenklich ist es allemal, wenn man sich die Hauttexturen dank sich hinziehender Dialoge stundenlang ansehen muss. Aber was wirklich zählt, sind die inneren Werte. Die Schreiber bei Obsidian beweisen wieder, dass sie Charaktere schreiben können. Denn es zählt noch lange nicht zum Genre-Standard, dass jedes Crewmitglied auf dem Schiff des Spielers eigene „Ticks“, Verhaltensweisen und Sprechweise zeigt.
Fazit
The Outer Worlds ist fast schon mutig darin, wie sehr es exakt alle Erwartungen erfüllt, die Spieler im Vorfeld daran hatten. Es ist das neu erfundene Rennrad mit gleichen Gebrauchsspuren, aber ohne defektes Ventil. Ganz nebenbei ist es noch ein Spiel, was zum Lachen bringt und zu unangenehmen Entscheidungen zwingt. Im besten Fall denkt der Spieler vorsichtig darüber nach, wie er die vorsichtige Balance zwischen Rebellion und unternehmerischer Diktatur bewegen kann. Im schlechtesten Fall grinst er vor dem Bildschirm in sich hinein, während sein korrupter Schiffscomputer mit einem umgerüsteten Putzroboter flirtet. Und manchmal ist das schon genug.
The Outer Worlds ist für die Playstation 4, Xbox One und den PC erhältlich.