Shining

Originaltitel: 
The Shining
Land: 
GB
Laufzeit: 
119 min
Regie: 
Stanley Kubrick
Drehbuch: 
Stanley Kubrick
Darsteller: 
Jack Nicholson, Shelley Duvall, Danny Lloyd
zusätzliche Infos: 
nach einer Romanvorlage von Stephen King
Kinostart: 
16.10.80

 Jack Torrance (Jack Nicholson) hat ein Vorstellungsgespräch im Overlook, einem Hotel in den Rocky Mountains. Er bewirbt sich um den Job des Hausmeisters für den kommenden Winter, in welchem das Overlook wie jedes Jahr geschlossen wird. Es ist ein etwas unbequemer Job, da das abgelegene Hotel jeden Winter eingeschneit wird und der Winteraufenthalt ein Leben in Einsamkeit darstellt. Jack ist von dieser Ausgangssituation begeistert, schreibt der ehemalige Lehrer doch gerade an einem neuen Buch und kann Ruhe gebrauchen, um vielleicht einen kreativen Blackout loszuwerden. Auch die dunkle Vergangenheit des Overlook schreckt ihn nicht ab; sechs Jahre zuvor tötete der Hausmeister Grady seine Frau und seine Kinder mit einer Axt und steckte sich daraufhin eine Schrotflinte in den Mund...


Filmkritik:
von Ralf Ramge (für SF-Radio.net)

Als kurz nach der Veröffentlichung von Stephen Kings drittem Roman ein Manuskript desselben auf den Schreibtisch Kubricks flatterte, war dieser spontan von ihm begeistert. Zusammen mit Diane Johnson, einer Autorin und Dozentin, machte er sich daran, ein entsprechendes Drehbuch auf die Beine zu stellen. Die beiden stießen hierbei jedoch auf Probleme, denn der Roman orientiert sich sehr an der Psyche der Hauptfiguren, ihren Empfindungen und ihren Gedanken. Da dies in den Augen Kubricks und Johnsons nicht auf die Leinwand gebracht werden kann, ohne den Zuschauer und seine Interessen zugunsten des zugrundeliegenden Romans zu vernachlässigen, schrieben sie Teile der Vorlage um. So fielen zum Beispiel die Heckentiere, deren Präsenz Danny ständig beunruhigt, unter den Hammer und wurden durch das Heckenlabyrinth ersetzt. Der Grund für die Beunruhigung wäre dem Zuschauer nicht ersichtlich und die Szene, in welcher sich die Heckentiere zu bewegen begännen, wäre nicht zu realisieren, ohne zu einem lächerlich anmutenden Blickfang abzugleiten.

Der Schluss wurde völlig umgeschrieben; das Overlook am Ende nach einer langen alptraumhaften Verfolgungsjagd einfach urplötzlich explodieren zu lassen, ist für den Kinogänger zu unbefriedigend und wird von ihm in der Regel als dämliches Ende empfunden, ein Showdown-ähnliches Finale ist praktikabler. Derartige Änderungen ziehen sich durch das gesamte Werk, und auch wenn die Grundintention und grundliegenden Elemente des Romans im Film auch vorzufinden sind, sind Roman und Film hierdurch nicht vergleichbar und müssen als voneinander unabhängige Werke betrachtet werden.

Das wichtige Grundthema des Buches ist die Darstellung eines Raumes (wie auch schon in Shirley Jacksons Roman "The Sundial", welcher Stephen King als Aufhänger zu "The Shining" diente). In gewisser Weise musste Kubrick von dem Roman angezogen werden wie eine Fliege vom Licht, benutzt er dieses Thema doch selbst sehr oft in seinen Filmen. Wie schon die Astronauten in "2001 - A Space Odyssey" (1968), Alex in "A Clockwork Orange" (1973) oder die jungen Rekruten in "Full Metal Jacket" (1987) befinden sich Jack, Wendy und Danny in einem geschlossenen Mikrokosmos, die Außenwelt ist für sie nicht erreichbar (gibt es anfangs eine Möglichkeit, fällt diese aus, wie z.B. HAL 9000 in "2001 - A Space Odyssey" oder das Funkgerät in "The Shining"). Die Zeit spielt keine Rolle mehr, denn Tage könnten Wochen und Wochen könnten Tage sein. Diesen Aspekt des Romans arbeiteten Kubrick und Johnson stärker heraus und machten ihn zum Hauptthema des Films.

Vor Beginn der Dreharbeiten schickte Kubrick den künstlerischen Leiter, Roy Walker, quer durch die USA mit dem Auftrag, Hotels und ihr Interieur zu fotografieren, die für den Film in Frage kämen. Das Anliegen war, ein möglichst realistisches Bild des Overlook zu zeichnen und nicht jenes eines spinnwebenverhangenes Spukschlosses oder ähnlichem. Aus den Fotos wurden Vorlagen für die verschiedenen Räume des Overlook ausgewählt, die ausgewählten Merkmale in gezeichnete Vorlagen für den späteren Set eingebracht und anhand dieser Zeichnungen letztendlich Modelle gebaut, die den Bühnenbildnern als Muster für die Innenräume des Overlook dienten, welche ebenso wie das Heckenlabyrinth in den Londoner Elstree Studios aufgebaut wurden. Die Außenaufnahmen zeigen das real existierende Hotel mit dem Namen "Timberline Lodge", am Mount Hood in Oregon gelegen. Die Geschäftsleitung ist übrigens dafür verantwortlich, dass das Zimmer 217 des Romans im Film die Zimmernummer 237 erhielt – im Timberline Lodge gibt es ein Zimmer mit der Nummer 217 und man wollte vermeiden, dass Besucher sich nach dem Sehen des Films weigern, in diesem Zimmer einzuchecken.

Bei der Auswahl der Schauspieler gelang Kubrick eine der wohl perfektesten Besetzungen seiner Karriere. Jack Nicholson war von Anfang an Kubricks Wunschbesetzung. In Jack Torrance sah Kubrick einen intelligenten und gebildeten Mann - Eigenschaften, die man nach Kubricks Worten nicht schauspielern kann, sondern die der Schauspieler selbst vorweisen muss. Neben seiner intellektuellen Ausstrahlung ist Jack Torrance jedoch auch ein gescheitertes Individuum, erfolglos im Beruf und Ex-Alkoholiker, der seinem Sohn einen Arm brach. In Nicholson sah Kubrick den einzigen Schauspieler, der in der Lage war, diesen Charakter derart konsequent zu verkörpern, dass Jacks Erscheinung bereits im Alleingang eine ansonsten zwangsläufig resultierende erzählende Charakterisierung des Jack Torrance überflüssig macht.

Auch Shelley Duvall erwies sich für Kubricks Film geradezu prädestiniert. Gegner des Films und Verfechter eines möglichst wortgenau wiedergegebenen Romans verweisen gerne darauf, dass Kings Wendy eine sehr attraktive und selbstbewusste Frau ist, also das genaue Gegenteil der von Shelley Duvall verkörperten Wendy. Doch die Wendy des Romans erschien Kubrick als nicht schlüssig, ja sogar unlogisch - weshalb sollte eine derart selbstständige und attraktive Frau bei einem Versager wie Jack Torrance bleiben, ja ihm sogar neben seinen Alkoholexzessen die Mißhandlung des gemeinsamen Sohnes verzeihen? Kubrick wünschte sich eine realistischere Wendy Torrance, die von Jack regelrecht abhängig ist und ihr Leben als hässliches Entlein fristet. Kubrick setzte hier in Shelley Duvall, welche damals bereits eine renommierte Schauspielerin war, große Hoffnungen und wurde nicht enttäuscht, wenn sie während der Dreharbeiten seine Nerven auch ziemlich strapazierte. Während Jack Nicholson stets respektvoll behandelt wurde, endeten Meinungsverschiedenheiten mit Shelley Duvall des öfteren in Gebrüll von Seiten Kubricks – spätestens wenn er die beiden eine Szene zum zehnten Mal wiederholen ließ, krachten der Kubrick'sche Perfektionsdrang und die Duvall'schen Allüren aufeinander. Die ständigen Auseinandersetzungen hielten selbst in die von Kubricks Tochter gedrehte und später veröffentlichte Dokumentation der Dreharbeiten, quasi ein "Making of", Einzug.

Für die Rolle des Danny ließ Kubrick etwa 5000 Kinder casten. Die Castings wurden von Leon Vitali durchgeführt (dem Darsteller des älteren Lord Bullington in "Barry Lyndon" (1975)) und fanden in Chicago, Denver und Cincinatti statt. Kubrick wählte diese Städte gezielt aus, um dafür Sorge zu tragen, dass der Akzent des Jungen klanglich etwa in der Mitte zwischen jenen von Jack Nicholson und Shelley Duvall angesiedelt ist.

Wie auch schon bei "Barry Lyndon" (1975) war zur Umsetzung von Kubricks optischen Ideen wieder eine technische Neuerung fällig, nämlich die Steadicam. Letztendlich ist die Kamera über einen Arm und einen Rahmen so am Kameramann befestigt, dass sich der Schwerpunkt der Kamera zum Kameramann verlagert und die Kamera sich hierdurch praktisch in einem Schwebezustand befindet. Da der Umgang mit der Steadicam sehr viel Übung erfordert, verpflichtete Kubrick gleich ihren Entwickler Garrett Brown als Kameramann für die Steadicam-Szenen. Und derer gibt es in „The Shining“ massenhaft. Durch die Steadicam war man erstmals in der Lage, Kamerafahrten zu inszenieren, die bislang als unmöglich galten. So zeichnen sich mit einer normalen Handkamera gefilmte Szenen dadurch aus, dass das Bild bei jeder Bewegung des Kameramanns munter wackelt. Wollte man ein ruhiges Bild erzielen, musste man auf einen Kamerawagen zurückgreifen. Doch ein Kamerawagen ist sehr sperrig, man kommt damit nur sehr schlecht in Ecken oder enge Durchgänge. Man kann mit ihm keine enge Kurven fahren oder ihn gar nach einer fließenden Vorwärtsbewegung auf der Stelle drehen. Und spätestens bei dem Versuch, den Wagen ruckelfrei eine Treppe hinaufzubefördern oder über Hindernisse hinwegspringen zu lassen, musste man sowieso die Waffen strecken. All diese Einschränkungen der Cinematographie sind seit "The Shining" jedoch Geschichte. Kubricks Experimente mit dem Prinzip einer von Stativen und ähnlichen Befestigungen unabhängigen Kamera begannen übrigens schon über ein Jahrzehnt früher bei den Dreharbeiten zu "2001 - A Space Odyssey" (1968), zum Beispiel in der berühmten Jogging-Szene.

Doch nicht nur die pure Existenz von technischer und schauspielerischer Brillianz macht einen Film aus. Und schon gar keinen Horrorfilm des Jahres 1980. Wenn wir den Film heute sehen, müssen wir bedenken, wie die Filmlandschaft zu diesem Zeitpunkt aussah. Da ist erst mal ein Regisseur, der nach "2001 - A Space Odyssey" (1968), "A Clockwork Orange" (1973) und "Barry Lyndon" (1975) einer immensen Erwartungshaltung von Seiten der Kritik ausgesetzt ist und sich dann ausgerechnet nicht nur mal wieder an einem Genre versucht, in welchem er bislang keine Erfahrungen sammelte, sondern auch eines, welches damals einen irrsinnigen Hype durchlebte. Der Gedanke an einen Versuch, durch das Aufspringen auf eine Modewelle das schnelle Geld machen zu wollen, drängt sich leicht auf. Eine kräftige Ladung künstlerischen Anspruchs käme daher nicht ungelegen. Verkompliziert wurde die Sache noch dadurch, dass das Horrorgenre damals nicht nur sehr erfolgreich, sondern auch sehr festgefahren war. Im Kielwasser von "Dawn of the Dead" (1979) und "I Spit On Your Grave" (1978) randalierten die Medien förmlich und hielten das Genre im Gespräch, diverse andere Filmemacher - allen voran der Meister des Plagiats, Lucio Fulci - sprangen auf den Zug auf und es musste immer doller und blutiger werden, das Publikum dürstete zunehmend nach physischer Gewalt und Gore. "The Shining" zu dieser Zeit verfilmen zu wollen, war gleichbedeutend mit einem wahlweise kommerziellen oder künstlerischen Drahtseilakt.

In künstlerischer Hinsicht ist Kubrick mit "The Shining" jedenfalls ein außergewöhnlicher Film gelungen. Das beginnt schon damit, wie er sich an die Thematik des Horrors heranwagte. Anstelle den Kapitalfehler zu begehen, sich in Klischees oder Modetrends zu wälzen, blies Kubrick förmlich zum Angriff auf dieselben. Anstelle die Protagonisten im Dunkeln über die Gänge schleichen zu lassen, wobei schon alleine die Tatsache der Dunkelheit den größten Teil des Horrors erzeugt, reißt Kubrick die Vorhänge auf und lässt das Licht durch die überschaubaren Hallen und geräumigen Gänge fluten. Man vergleiche hier zum Beispiel mal die Lichtgebung der Szenen, in welchen Jack mit seiner Axt Danny verfolgt, mit den typischen Slasher-Filmen dieser Zeit wie "Halloween" (1978) oder dem ebenfalls 1980 entstandenen "Prom Night". Auch sind die Kulissen realistisch und bunt, von den sanften pastellfarbenen Wänden bis zu den knallbunten Teppichen der Flure, was ebenso stark vom üblichen Strickmuster abweicht. Anstelle wie üblich die vom Horror ablenkenden Elemente möglichst auszuschalten (der Killer jagt meistens sein Opfer durch farblich nüchterne Kulissen), verzichtet Kubrick auch hier auf eine plumpe Inszenierung klischeegewordener Üblichkeiten. Wenn Danny auf seiner Karre durch die Gänge rast, verfolgt ihn die Steadicam in Höhe seines Gesichts und brettert mit ihm um unzählige Ecken, hinter denen prompt *nichts* Schreckliches lauert. Wir müssen sogar auf Schockeffekte verzichten, ja Wendy läuft noch nicht mal langsam rückwärts zum rechten Bildrand, um dann von Jack angerempelt zu werden ...

Doch was macht Kubrick stattdessen, was macht "The Shining" zu einem Horrorfilm?

Kubrick zieht an mehreren Fäden gleichzeitig, um uns zu beeinflussen. Er geht hier sehr subtil vor, produziert sozusagen "passives Grauen". Wir gruseln uns nicht wegen dem, was wir bei dem Film ERLEBEN. Der Horror kommt stattdessen klammheimlich und leise aus unserem Unterbewusstsein gekrochen. Diesem Horror kann man nicht entgehen, indem man seine Augen bei einigen Szenen hinter den Händen versteckt. Der Nachteil liegt jedoch auch klar auf der Hand: Der Film ist davon abhängig, dass der Zuschauer sich auf dieses Psychospiel einlässt. Im Popcornbecher kreisende Krümel, eingestreute Kommentare oder Pinkelpausen zerstören den Film ebenso wie ein klingelndes Telefon oder Nachbars kläffende Töle. "The Shining" ist kein Film der Aktion, er ist ähnlich Filmen wie Polanskis "Repulsion" (1965) ein Film der Stimmung und der Hingabe des Zuschauers.

Kubricks unterschwellige Manipulationen beginnen bereits auf der Basis dessen, was er zeigt. So beginnt jedes Kapitel des Films mit einer oberflächlich unverfänglichen Außenansicht des Overlook. Was wir in diesen Einstellungen sehen, ist letztendlich das Wetter. Durch das Wetter erhält jede dieser Einstellungen ihre eigene Stimmung - am Anfang ist es ein idyllisches Bild, dann beginnen die Blätter zu fallen, am Ende erstickt das durch das Schneetreiben konturlos gewordene Hotel förmlich im Schnee. Das Wetter ist eine sich über den gesamten Film erstreckende Metapher für die Situation, in welcher sich unsere Protagonisten befinden. Und umgekehrt, das Wetter innerhalb des Mikrokosmos des Overlook ahmt das Wetter der äußeren Welt förmlich nach.

Da wir gerade von Metaphern sprechen - in gewisser Weise ist das gesamte Overlook eine solche. Es wird uns als ein Ort beschrieben, an welchem in der Vergangenheit schreckliche Dinge geschahen. Die bösartige Seele des Overlook scheint eine Personifizierung der Sünden vergangener Tage zu sein. Diese unterschwellige Erkenntnis wird mit einem unscheinbaren, aber dennoch kräftigen Touch Mystik versehen, der großen Brutstätte des Grauens. Diese Mystik wird derart beiläufig eingestreut, dass die Passagen während des Ansehens nahezu gar nicht auffallen. So erfahren wir, dass das Overlook auf einer indianischen Begräbnisstätte erbaut wurde. Doch die Anspielungen gehen noch weiter. So ist die große Lounge mit indianischem Dekor geschmückt, auf Basis von Motiven der Apachen und Navajo, wie Ullman erklärt. Jack wird zu einem späteren Zeitpunkt einen Tennisball wiederholt mit voller Wucht auf einen indianischen Wandteppich werfen, ganz als ob das Hotel den Indianern erneut Gewalt antun wollte. Eines der indianischen Motive auf einem Teppich ist übrigens der Grundriss des Labyrinths, in welchem Jack letztendlich stirbt. Und natürlich mussten während des Baus des Hotels unzählige Angriffe von Indianern abgewehrt werden. Über die Ähnlichkeiten von "The Shining" zur amerikanischen Geschichte bis hin zur Lage der Nation wurden unzählige Essays und Diplomarbeiten geschrieben, aber diese interessieren uns hier nur am Rande. Wesentlich interessanter ist, dass schon alleine der Plot des auf einem indianischen Friedhof stehenden Hauses für genug unterschwelliges Gruseln sorgen kann, dass man daraus einen eigenen Horrorfilm drehen könnte. Von "The Amityville Horror" (1979) bis "Pet Sematary" (1989) - die Liste der auf dieser Basis funktionierenden Filme ist recht lang. Im Falle von "The Shining" wird das Overlook hierdurch bereits zu einem Spukhaus, bevor überhaupt irgendwas konkret unheimliches passiert. Und wenn während des Abspanns des Films die Geräusche der Gesellschaft aus den Lautsprechern dringen, die am 4. Juli 1921 zusammen mit Jack Torrance im Overlook feiert und die Partygeräusche mit jenen des Kinopublikums verschmelzen, wird uns klar, dass in uns allen etwas von Jack Torrance steckt. Übrigens, was vielleicht auch noch nicht uninteressant sein dürfte: Die wohl bekannteste Szene des Films, in welcher Jack mit der Axt die Badezimmertür zertrümmert, hinter welcher sich Wendy versteckt hält, stammt eigentlich nicht aus "The Shining", sondern ist vielmehr ein bewusstes Zitat Kubricks. Wer hier einmal die Originalsequenz sehen möchte, sollte sich den 1970 entstandenen Film "L'Uccello dalle Piume di Cristallo" von Dario Argento, mit Mario Adorf in einer Nebenrolle und Vittorio Storaro hinter der Kamera) ansehen. [Anm.: Und "The Shining" ist bei weitem kein Einzelfall. Weitere Remakes dieser Szene gibt es wie Sand an Meer, z.B. lief sie mir gerade vorgestern in William Lustigs "Maniac Cop" (1988) über den Weg.]

Die große Triebfeder des Horrors und eigentlich sowieso der absolute Überhammer dieses Films ist die Tonkulisse. Wer hier Nicholsons Originalstimme noch nicht genießen durfte, hat "The Shining" letztendlich noch nicht gesehen. Jack Torrance wird durch Nicholsons Stimmbänder ihn zum fleischgewordenen Schrecken. Hier brennen sich durch Nicholsons geniale Vorstellung vor allem zwei Szenen ins Gedächtnis, nämlich die komplette Treppenszene, in welcher Jack die mit einem Baseballschläger bestückte Wendy verbal fertig macht, und die Szene, in welcher Jack sich daran macht, die Badezimmertür mit der Axt einzuschlagen ("Little pigs, little pigs, let me come in ... Not by the hair of your chinny, chin-chin ... Then I'll huff, and I'll puff and I'll blow your house in!"). Diese beiden Szenen dürften das Potential haben, deutsche Kinogänger reihenweise zu Hassern von synchronisierten Fassungen zu machen, denn was hier sowohl das Schauspiel Nicholsons als auch der ganze Film an Wert verlieren, ist schon nahezu unbeschreiblich. Und dabei habe ich noch gar nicht erwähnt, dass weite Teile der Dialoge noch nicht mal sinngemäß ins Deutsche übersetzt wurden, sondern vielmehr neue inhaltliche Kreationen darstellen.

Die Tonkulisse ist hier jedoch noch nicht am Ende angelangt. Kubrick arbeitet auch viel mit verstärkten Geräuschen, die ihrerseits für eine sehr unheimliche Kulisse sorgen. Paradebeispiel dürfte hier jene Szene sein, in welcher die Kamera eingangs Jacks Schreibmaschine bildfüllend zeigt und aus den Lautsprechern ein lautes Krachen in einem Takt von etwa 2 Sekunden Abstand wiederholt auf den Zuschauer einschlägt. Man hat den Eindruck, als ob es sich hier um eine akustische Untermalung der Szene handeln würde, die das Grauen ankündigt. Die Kamera weicht langsam zurück und gibt letztendlich den Blick auf Jack frei, und dem Zuschauer wird bewusst, dass jenes Krachen von dem Tennisball stammt, den Jack wiederholt auf den weiter oben bereits erwähnten Wandteppich schleudert. Was Kubrick in dieser Szene treibt, ist nichts anderes als eine kalkulierte Irreführung des Zuschauers in der Absicht, eine unheimliche Stimmung zu erzeugen, was ihm auch bestens gelingt. Ein weiteres gutes Beispiel für Kubricks Umgang mit dem Ton ist die lange Szene, in welcher Danny mit seinem Tretauto durch die Gänge des Overlook dübelt und abwechselnd über Teppich und den dröhnenden Parkettboden fährt.

Die absolute akustische Quintessenz ist jedoch der Score von Rachel Elkind und dem Synthesizerkünstler Wendy Carlos. Letzterer wurde ab den frühen 70er Jahren durch seine Schallplatten bekannt, auf welchen er klassische Musik auf seinen Synthesizern neu interpretierte. Wendy Carlos war bereits für den Soundtrack zu Kubricks "A Clockwork Orange" (1973) verantwortlich. Auch bei "The Shining" benutzte er wieder massiv klassische Kompositionen und schuf einen der unmelodiösesten und gruseligsten Soundtracks, die mir bislang untergekommen sind. Jede einzelne Note scheint sich mit den Bildern zu einer Einheit verschmelzen zu wollen und die Musik verbleibt durch ihre Schlichtheit auch ständig im Hintergrund - und das bei einer stellenweise überdurchschnittlich hohen Lautstärke, vor allem im tieffrequenten Bereich. Die gleichzeitig sphärischen und unheimlichen Klänge aus Carlos' Synthesizerbänken lassen den Horror auch dann greifbar werden, wenn die gezeigten Bilder eigentlich Freude vermitteln. Wie zum Beispiel gleich am Anfang nach dem Beenden des Vorstellungsgespräches, als Jack sich zu einem Telefon begibt und Wendy anruft: Jack freut sich, Wendy freut sich und Carlos zeigt uns anhand eines unterschwelligen, bedrohlichen Grummelns, dass das Overlook auch an der allgemeinen Freude teilhat. Wer einmal eine gelungene Verknüpfung zwischen Regie und musikalischer Untermalung erleben möchte, kommt an "The Shining" nicht vorbei.

Aber wie schon bei der Synchronisation gibt es auch hier für deutsche Kinogänger eine schlechte Nachricht. Die Klangqualität wurde bei Musik und Toneffekten ziemlich versaut. Kaum noch Dynamik und spürbar geringere Lautstärke, sämtliche Geräusche und Töne befinden sich auf dem gleichen Pegel wie das gesprochene Wort. Zusammen mit der Tatsache, dass der Film durch die in der europäischen Fassung fehlenden halben Stunde sowieso schon sehr viel an Stimmung verliert, wertet die hiesige Tonverhunzung den Film noch weiter ab. Es fällt vergleichsweise schwer, sich in deutschen Vorführungen richtig zu gruseln, wobei die US-Fassung das Potential dazu hat, was Amerikaner gerne "to scare the shit out of somebody" nennen.

Falls sich jemand verwundert den Kopf kratzt: "The Shining" ist in Europa in der Tat um eine knappe halbe Stunde kürzer, 114 Minuten Laufzeit anstelle 144. Mit 31 Millionen Dollar US-Einspielergebnis wurde "The Shining" zwar zum kommerziell erfolgreichsten Projekt Kubricks vor "Full Metal Jacket" (1987) - doch diese 31 Millionen Dollar erreichte der Film erst 13 Jahre nach seiner Erstaufführung. Bei seinem Kinostart blieb "The Shining" zuerst einmal weit hinter den Erwartungen und seinen beiden großen Horror-Konkurrenten des damaligen Kinojahres, "Friday the 13th" (1980) und "Dressed to Kill" (1980), zurück. In den 4 Monaten bis zum ersten europäischen Starttermin zückte Kubrick daraufhin die Schere und straffte den Film, um ihn handlungsorientierter und damit attraktiver für das Kinopublikum zu machen. Als Ergebnis haben wir nun zwei verschiedene Fassungen des Films, zwischen denen Welten liegen. Die europäische Kurzfassung erinnert eher an einen Thriller als an einen stimmungsvollen Horrorfilm, der Film stolpert viel zu eilig durch die Geschehnisse und wird zu unausgewogen, um überhaupt noch ein eindringliches Stimmungsbild zeichnen zu können. Auch wirkt der Film intellektueller, da große Teile der Schilderungen des Lebens im Hotel, der Charakterisierungen und Vorgeschichte der Schere zum Opfer fielen und man leicht dem Eindruck erliegen kann, es handle sich um die Geschichte eines Mannes, der eben durchdreht und seinen Sohnemann schlachten will. In dieser Fassung ist der Film irgendwie ... Blah. Wie ein Pullover, den man zu oft gewaschen hat. Er erinnert mehr an eine Regiestudie als an eine erzählte Geschichte. Die in den USA nach wie vor vermarktete Originalfassung des Films hingegen hat zwar ein niedrigeres Verhältnis von Action gegenüber der Gesamtlaufzeit, aber sie ist 144 Minuten Stimmung pur. Wir lernen die Charaktere hier genauer kennen, die Stimmung wird ebenso wie der Spannungsbogen homogen über den ganzen Film verteilt langsam und linear aufgebaut, anstelle wie in der Euro-Fassung notgedrungen ein sprunghaftes Verhalten an den Tag zu legen. Und vor allem erhält die Handlung in sich mehr Glaubwürdigkeit und wirkt nicht mehr so verkrampft konstruiert wie in der kurzen Version des Filmes.

Wer die Gelegenheit hat, sich die US-Fassung einmal anzusehen, sollte diese wahrnehmen; der Vertrieb der Langfassung ist keineswegs auf die USA beschränkt. So lief beispielsweise im Jahr 1989 die US-Fassung in voller Länge mit Kubricks Segen im englischen Fernsehen. Das Warten auf Warner ist in diesem Fall jedoch wie so häufig wohl mit dem Warten auf ein Wunder gleichzusetzen, weshalb man bei Interesse vielleicht doch darüber nachdenken sollte, den Film ggf. in den USA zu ordern oder mal ein ernstes Wörtchen mit dem Videothekar des Vertrauens zu reden.